Gentechnik-Deregulierung: Einigung im EU-Trilog

In ein­er nächtlichen Sitzung vom 3. auf den 4. Dezem­ber haben sich die Unterhändler:innen von EU-Min­is­ter­rat, ‑Par­la­ment und ‑Kom­mis­sion auf eine weitre­ichende Dereg­ulierung von Pflanzen aus neuer Gen­tech­nik (NGT) – wie etwa der Gen­schere CRISPR/Cas – geeinigt. Danach sollen fast alle Vor­gaben des EU-Gen­tech­nikrechts für diese Art von Gen­tech­nik-Pflanzen abgeschafft wer­den.  

Was wurde ausgehandelt?

Gen­tech­nik-Pflanzen, die den Kri­te­rien der sog. „NGT Kat­e­gorie 1“ entsprechen, sollen ohne Kennze­ich­nung, Rück­ver­fol­gbarkeit oder Risiko­prü­fung auf den Markt kom­men. Dazu gehören Gen­tech­nik-Pflanzen, bei denen weniger als 20 Verän­derun­gen pro Genom vorgenom­men wur­den. Die Organ­i­sa­tion Test­biotech beze­ich­net diese Kri­te­rien als „wis­senschaftlich unsin­nig“. Sie dien­ten „lediglich dazu, die aller­meis­ten NGT-Pflanzen von den bish­eri­gen Vor­gaben des Gen­tech­nikge­set­zes auszunehmen“.  

Außer­dem müssen Her­steller keine Nach­weisver­fahren mehr hin­ter­legen, und das Umwelt-Mon­i­tor­ing ent­fällt. Offizielle Begrün­dung ist, dass diese Gen­tech­nik-Pflanzen sich nicht von kon­ven­tionell gezüchteten Pflanzen unter­schei­den. Den­noch soll das Paten­trecht voll zur Anwen­dung kom­men – egal, ob die Gen­tech­nik-Pflanzen „ver­gle­ich­bar mit herkömm­lich gezüchteten“ sind oder nicht.  

Damit set­zten Rat und Kom­mis­sion ihre Posi­tio­nen gegenüber dem Par­la­ment durch. Das Par­la­ment hat­te gefordert, dass auch Pro­duk­te aus NGT1-Pflanzen für Verbraucher:innen gekennze­ich­net wer­den müssen. Außer­dem hat­te es für ein Patentver­bot auf Eigen­schaften und Pflanzen ges­timmt, die „ver­gle­ich­bar wie durch herkömm­liche Züch­tung“ erzeugt wur­den.

Neu ist, dass Gen­tech­nik-Pflanzen nur dann als „NGT1“ eingestuft wer­den sollen, wenn die gen­tech­nis­che Verän­derung nicht darauf abzielt, dass sie resistent gegenüber Her­biziden sind oder ein bere­its bekan­ntes Insek­tengift pro­duzieren. Der Rat wollte ein­gangs – auf Betreiben Frankre­ichs – nur her­bizid-tol­er­ante Gen­tech­nik-Pflanzen auss­chließen.

Verbraucher sollen im Dunkeln bleiben

Nach den neuen Regeln soll nur noch Saatgut verpflich­t­end als gen­tech­nisch verän­dert gekennze­ich­net wer­den, Pro­duk­te hinge­gen nicht mehr. Das wider­spricht ein­deutig dem Willen der Verbraucher:innen in Deutsch­land. Laut ein­er Umfrage des BfN sind 94 Prozent der Erwach­se­nen dafür, dass Lebens­mit­tel, die mit neuen Gen­tech­nikver­fahren hergestellt wur­den, im Han­del ein­deutig gekennze­ich­net wer­den.

Der Ver­braucherzen­trale Bun­desver­band (VZBV) bestätigt dies: „Umfra­gen zeigen – und wir sehen es auch in unseren Beratun­gen – dass das vie­len Men­schen wichtig ist.“ Der Lebens­mit­tel­händler Rewe sieht daher die Entschei­dung „kri­tisch“ und will „mögliche Auswirkun­gen“ prüfen. Der Konz­ern betonte: “Wir set­zen uns im Sinne unser­er Kundin­nen und Kun­den für Wahl­frei­heit und Trans­parenz ent­lang der gesamten Wertschöp­fungs­kette ein.” Rewe ist hin­ter Ede­ka die Num­mer zwei im deutschen Lebens­mit­tel­han­del. 

Patentierung wird nicht eingeschränkt  

Zum The­ma Patente woll­ten die Unterhändler:innen durch min­i­male Maß­nah­men die Rechtssicher­heit für Züchter:innen und Landwirt:innen verbessern. Eine Experten­gruppe soll nun die Entwick­lun­gen beobacht­en, und die EU-Kom­mis­sion soll einen Ver­hal­tenskodex für die Lizen­zierung entwick­eln.

Der Deutsche Bauern­ver­band (DBV), grund­sät­zlich ein Befür­worter der neuen Gen­tech­nik, sieht bei Paten­ten den­noch „eine klare rote Lin­ie über­schrit­ten“. Er warnte: „Wenn zen­trale Pflanzeneigen­schaften von einzel­nen Unternehmen monop­o­lisiert wer­den, ver­lieren unsere Land­wirte und kleine und mit­tel­ständis­che Züchter den Zugang zu wichtigem genetis­chem Mate­r­i­al.” Dem Ver­band zufolge wären die Auswirkun­gen für die Land­wirtschaft weitre­ichend: „Weniger Wet­tbe­werb unter den Züchtern, steigende Saatgut­preise und ein Rück­gang der Sorten­vielfalt.“

Ein Bünd­nis aus Bauern­ver­band (DBV), Bun­desver­band Deutsch­er Pflanzen­züchter (BDP), Bund Ökol­o­gis­che Lebens­mit­tel­wirtschaft (BÖLW) und anderen hat­te eine wirk­same Ein­schränkung von Paten­ten gefordert.

Bio- und Ohne-Gentechnik-Wirtschaft tragen die Kosten

Im Ökoland­bau bleibt der Ein­satz von Gen­tech­nik – ein­schließlich der sog. NGT1-Pflanzen – weit­er­hin ver­boten. Wenn Spuren in Bio-Pro­duk­ten „tech­nisch unver­mei­d­bar“ sind, soll das aber keinen Ver­stoß darstellen. Der Bund Ökol­o­gis­che Lebens­mit­tel­wirtschaft (BÖLW) betont: „Bio bleibt sich­er“. Er beklagt den „Ausverkauf der europäis­chen Züch­tungs- und Land­wirtschaft an die Konz­erne“ – zulas­ten der europäis­chen Lebens­mit­tel­wirtschaft.

Der Ver­band Lebens­mit­tel ohne Gen­tech­nik (VLOG) weist darauf  hin, dass es deut­lich aufwändi­ger würde, dem Wun­sch nach Lebens­mit­teln ohne Gen­tech­nik nachzukom­men, dadurch „wür­den Lebens­mit­tel noch teur­er“. Auch er ist der Mei­n­ung, eine Abschaf­fung der Kennze­ich­nungspflicht würde „der gesamten europäis­chen Lebens­mit­tel­wirtschaft schaden, nicht nur ‚Ohne Gen­tech­nik‘ und Bio“.

Bio-Bäuerin Pola Krenkel aus Bay­ern befürchtet: „Wenn dieser Vorschlag so durchkommt, ste­ht die Zukun­ft der gen­tech­nikfreien Land­wirtschaft und der Umwelt auf dem Spiel. Es dro­ht die Durch­paten­tierung unser­er Lebens­grund­la­gen. Bäuerin­nen wie Züchter müssten sich mit kom­plizierten Patent­prob­le­men und Rechtsstre­it­igkeit­en herum­schla­gen – ein echt­es Hor­rorszenario.“

Bundesregierung wackelt

Damit das neue Gesetz gültig wird, muss die Eini­gung noch von ein­er Mehrheit in Par­la­ment und Rat bestätigt wer­den. Eine Mehrheit im Par­la­ment käme wohl nur mit den Stim­men von Recht­saußen zus­tande. Viele Sozialdemokrat­en wollen stärkere Vor­gaben, Grüne und Linke eben­so. Im Trilog hat­ten Unterhändler:innen von Christ­demokrat­en, Lib­eralen und Extrem­rechts angedeutet, dem Ergeb­nis zus­tim­men zu wollen.   

Auch im Min­is­ter­rat kön­nte die Mehrheit knapp aus­fall­en. Die vorige Bun­desregierung hat­te der Dereg­ulierung im März nicht zuges­timmt. Wie sich die heutige Regierung ver­hal­ten wird, bleibt unklar. Ein Sprech­er des Bun­des­land­wirtschaftsmin­is­teri­ums ver­wies die Süd­deutsche Zeitung auf den Koali­tionsver­trag, der vorse­he, „die Biotech­nolo­gie als Schlüs­sel­tech­nolo­gie zu fördern und ihre Anwen­dung reg­u­la­torisch zu erle­ichtern, auch mit Blick auf die neuen genomis­chen Tech­niken“. 

In Deutsch­land stem­men sich Ver­bände aus Umweltschutz, Bio­branche, bäuer­lich­er Land­wirtschaft und Ver­brauch­er­schutz ein­hel­lig gegen die Gen­tech­nik-Dereg­ulierung. Mehr als 130.000 Bürger:innen fordern den Erhalt der gel­tenden Gen­tech­nikregeln auch im Umgang mit neuen Gen­tech­niken (NGT) wie der Gen­schere CRISPR/Cas. Auch die Unternehmen Rewe, dm, Alnatu­ra, den­nree und Rapun­zel hat­ten EU-Abge­ord­nete im Novem­ber aufge­fordert, einem möglichen Ver­hand­lungsergeb­nis nur dann zuzus­tim­men, wenn es „Kennze­ich­nungspflicht, Rück­ver­fol­gbarkeit und Koex­is­tenz­maß­nah­men“ umfasst.

Save Our Seeds hat­te noch am Dien­stag an einem gemein­samen Protest vor dem Kan­zler­amt teilgenom­men.

Mehr Infor­ma­tio­nen beim Infor­ma­tions­di­enst Gen­tech­nik

Bild © Nick Jaus­si. Benedikt Haer­lin bei der Über­gabe ein­er Gen­tech­nik-Peti­tion an das BMLEH in Berlin am 26. Novem­ber 2025

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