Deregulierung der EU Gentechnikgesetze?

Der Vorstoß kommt nicht uner­wartet: Am 24. Sep­tem­ber hat die Europäis­che Kom­mis­sion offiziell vorgeschla­gen, das Gen­tech­nikrecht der EU grundle­gend zu verän­dern: Bes­timmte gen­tech­nisch verän­derte Organ­is­men (GVO) sollen von der bish­eri­gen Risiko­prü­fung und Kennze­ich­nungspflicht ausgenom­men wer­den. Sie bekom­men zu diesem Zweck neue Namen wie “neue Genomtech­niken”, „gezielte Muta­ge­nese“ und „Cis­ge­nese“ und bedürften kein­er Gen­tech­nik-Zulas­sung mehr. Vor drei Jahren hat­te der Europäis­che Gericht­shof auch diese Pro­duk­te neuer Gen­tech­nikver­fahren wie CRISPR/Cas unmissver­ständlich als GVO eingestuft. Daraus zieht die EU-Kom­mis­sion den Schluss, dann eben das Gesetz, nach dem das Gericht entsch­ied, zu ändern. Die jet­zt vorgeschla­ge­nen Aus­nah­men sind dabei nur der Anfang.

„Es gibt gute Gründe, dreißig Jahre nach ihrer Ver­ab­schiedung über eine Über­prü­fung der Zulas­sungsver­fahren und Risikobe­w­er­tun­gen von GVOs nachzu­denken,“ kom­men­tierte Ben­ny Haer­lin von „Save Our Seeds“, „der Vorstoß, der uns jet­zt vor­liegt ist allerd­ings wed­er wis­senschaftlich durch­dacht noch offen für Verbesserun­gen, son­dern scheint auss­chließlich dem Ziel zu dienen, Sicher­heits­stan­dards zu senken und die Grund­la­gen der Sicher­heit­sphiloso­phie der Gen­tech­nik-Richtlin­ie auszuhe­beln. Statt umsichtiger Anpas­sung an die tech­nis­che Entwick­lung, geht es hier wohl nur um Anpas­sung an die Inter­essen der Gen­tech-Indus­trie.“ Indizien dafür sieht er in der ein­seit­i­gen Inter­pre­ta­tion von Aus­sagen der Europäis­chen Lebens­mit­tel­sicher­heits­be­hörde EFSA durch die Kom­mis­sion und in ein­er wis­senschaftlich nicht nachvol­lziehbaren Kasu­is­tik, nach der die beab­sichtigten Effek­te bes­timmter Gen­ma­nip­u­la­tio­nen deren “Risikop­fil” im Ver­gle­ich zu anderen Manip­u­la­tio­nen sub­stantiell schmälern.

Vere­in­facht gesagt geht es etwa darum, dass in der Tat Muta­tio­nen einzel­ner Basen­paare in der DNA von Organ­is­men in der Natur ständig vorkom­men. Diese gezielt mit Hil­fe eines eigens dafür geschaf­fe­nen und mit klas­sis­chen Gen­tech-Meth­o­d­en in die Zelle eingepflanzten Such- und Schnei­desys­tems (CRISPR/Cas) her­beizuführen und diesen Vor­gang im Prinzip beliebig oft zu wieder­holen, um die DNA nach dem eige­nen Bau­plan „umzuschreiben“, ist dage­gen ganz offen­sichtlich kein natür­lich­er Vor­gang mehr. Das Ver­fahren hat vielmehr ein enormes Poten­tial für schnelle und weit­ge­hende genetis­che Verän­derun­gen mit erhe­blichen Auswirkun­gen. Als Inno­va­tionspo­ten­tial wird dies von Wissenschaftler*innen, Biotechnolog*innen und Gen­tech­nikun­ternehmen auch gerne betont.

Dass damit auch neue Risiken ein­herge­hen, liegt auf der Hand. Dies gilt sowohl für beab­sichtigte Effek­te wie etwa die Pro­duk­tion neuer Eiweisse und Inhaltsstoffe, tox­is­che Effek­te auf „Frass­feinde“ oder die Anpas­sung an neue ökol­o­gis­che Bedin­gun­gen (z.B. Hitze, Flut oder Dürre), die Konkur­ren­zvorteile schafft. Es gilt allerd­ings auch für eine bre­ite Palette nicht beab­sichtigter Effek­te. Das begin­nt damit, dass die geziel­ten Muta­tio­nen auch an anderen Stellen des Genoms stat­tfind­en und dort unbe­merk­te Verän­derun­gen verur­sachen kön­nen oder doch nicht ganz so gezielt steuer­bar dafür aber auf andere Organ­is­men über­trag­bar sind. Und es endet damit, dass die Ein­führung bes­timmter Eigen­schaften in ein Ökosys­tem gän­zlich unvorherge­se­hene Kon­se­quen­zen in dem kom­plex­en Zusam­men­spiel von Pflanzen, Mikroor­gan­is­men und Tieren haben kann. Für all diese Effek­te gibt es wis­senschaftlich gut doku­men­tierte Beispiele, die eine Risiko­analyse von Fall zu Fall und Schritt für Schritt anger­at­en erscheinen lassen. Dass bes­timmte Risiken nur dann beste­hen, wenn DNA aus einem frem­den Organ­is­mus über­tra­gen wird oder erst ab ein­er definier­baren Länge des verän­derten DNA-Abschnittes ist dage­gen nicht zu bele­gen.

Ein beson­der­er Vorschlag der EU-Kom­mis­sion klingt auf den ersten Blick sehr sin­nvoll: Bei kün­fti­gen Bew­er­tun­gen soll­ten nicht nur die Risiken, son­dern auch die Chan­cen für Nach­haltigkeit und Umwelt bew­ertet wer­den. Bei näher­er Betra­ch­tung stellt sich jedoch her­aus, dass dies nur auf bes­timmte Tech­nolo­gien, nicht aber auf mögliche Alter­na­tiv­en bezo­gen wer­den soll und es im Wesentlichen aus­re­ichen soll, mögliche Umweltvorteile anzuführen, ohne deren Real­isier­barkeit, den Kon­text und ein Ver­gle­ich­barkeit ermöglichen­des Bew­er­tungssys­tem geschehen soll. Nicht real­isierte Ver­sprechen etwa zur Reduzierung von Pes­tiziden (das Gegen­teil war nach­weis­bar der Effekt) oder des Anbaus unter erschw­erten Bedin­gun­gen pflastern seit über drei Jahrzehn­ten den Weg der Gen­tech­nik in der Land­wirtschaft, die bish­er prak­tisch keines davon erfüllte. Es macht den an sich also begrüßenswerten Ansatz der Abschätzung von pos­i­tiv­en wie neg­a­tiv­en soz­iökonomis­chen und ökol­o­gis­chen Auswirkun­gen jen­seits der klas­sis­chen Risikobe­w­er­tung von vorn­here­in unglaub­würdig, wenn er lediglich zur beschle­u­nigten Ein­führung einzel­ner Tech­nolo­gien entwick­elt und einge­set­zt wer­den soll.

Der Vorschlag der Kom­mis­sion kann als Auf­schlag für die heisse Phase ein­er von Agar­chemie-Konz­er­nen und Tech­nolo­gie-Inter­essens­grup­pen seit Jahren vor­bere­it­eten, neuen Auseinan­der­set­zung um den Ein­satz von Gen­tech­nik in der Land­wirtschaft und Umwelt und in Lebens­mit­teln ver­standen wer­den. Sie wird sich möglicher­weise über Jahre hinziehen. Bleibt zu hof­fen, dass der bish­er in diesem Bere­ich in Europa erfol­gre­ich real­isierte Vor­sorge-Gedanke und: Ein­spruch Euer Ehren!

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