IUCN tief gespalten über Gentechnik in der Natur 

Auf ihrem Kongress in Abu Dhabi stimmte die Welt­naturschutzu­nion IUCN knapp gegen eine „vor­sor­gliche Aus­set­zung” der Freiset­zung gen­tech­nisch verän­dert­er Wildarten in natür­liche Ökosys­teme. Eine Mehrheit der IUCN-Mit­glieder unter­stützte jedoch die Forderung nach „zusät­zlichen Vor­sichts­maß­nah­men” für solche Freiset­zun­gen. Der Kongress offen­barte eine tiefe Spal­tung der Naturschutzge­mein­schaft hin­sichtlich der Frage, ob gen­tech­nisch verän­derte Wildor­gan­is­men in die Natur freige­set­zt wer­den soll­ten.

Neue Leitlinien zur „synthetischen Biologie” 

Am 14. Okto­ber stimmten die IUCN-Mit­glieder für neue Leitlin­ien zur soge­nan­nten syn­thetis­chen Biolo­gie. Der Begriff „syn­thetis­che Biolo­gie“ beschreibt Ver­fahren, die zur Erzeu­gung oder Verän­derung von genetis­chem Mate­r­i­al, leben­den Organ­is­men und biol­o­gis­chen Sys­te­men einge­set­zt wer­den – sowohl in geschlosse­nen als auch in offe­nen Umge­bun­gen.

Die Leitlin­ien leg­en nahe, dass Gen­tech­nik zum Naturschutz beitra­gen kann, jedoch nicht als Ersatz für tra­di­tionelle Maß­nah­men ange­se­hen wer­den sollte. Sie umge­hen die grundle­gende Frage, ob Gen­tech­nik bei wildleben­den Arten in natür­lichen Ökosys­te­men über­haupt einen Platz im Naturschutz haben sollte. Im Wesentlichen fordern sie eine Einzelfall­prü­fung für die Genehmi­gung – oder Ablehnung – einzel­ner Vorschläge.

Befür­worter der Biotech­nolo­gie begrüßten die Entschei­dung. Für die US-amerikanis­che NGO Revive & Restore, deren Mis­sion es ist, die „Ein­beziehung von Biotech­nolo­gien in die gängige Naturschutzprax­is zu fördern ”, bedeutet die Abtim­mung eine „Entschei­dung, unsere Optio­nen zu erweit­ern”. Der Organ­i­sa­tion zufolge geht es nun nicht mehr um die Frage, „ob wir diese Instru­mente ein­set­zen soll­ten”, son­dern nur noch darum, „ob bes­timmte Biotech­nolo­gien” zur Erre­ichung von Naturschutzzie­len beitra­gen kön­nen.

Die eben­falls in den USA ansäs­sige San Diego Zoo Wildlife Alliance ist der Ansicht, dass Tech­nolo­gieen­twick­ler nun die „Unter­stützung der IUCN“ haben, um „neue Gen­tech­nolo­gien zur Unter­stützung von Naturschutzbe­mühun­gen“ voranzutreiben.

Die Entwick­ler von umstrit­te­nen Gene Dri­ves – auch „Ausster­ben auf Knopf­druck“ genan­nt – gehen bere­its einen Schritt weit­er und hof­fen, dass die IUCN „den Auf­bau von Kapaz­itäten im Bere­ich der syn­thetis­chen Biolo­gie ver­stärkt”. Sie solle sich auch mit der UN-Kon­ven­tion über die biol­o­gis­che Vielfalt abstim­men, um dort weit­ere Unter­stützung zu erhal­ten.

Forderung nach „zusätzlichen Vorsichtsmaßnahmen“ 

Auch wenn Tech­nolo­gieen­twick­ler die neue Offen­heit der IUCN gegenüber Gen­tech­nik begrüßen, enthält der Kon­gress­beschluss eine wichtige Zusatzk­lausel.

In ein­er in let­zter Minute vorgenomme­nen Änderung des Antrags 087 über die IUCN-Leitlin­ien zur syn­thetis­chen Biolo­gie beschloss der Kongress, „die Gen­eraldirek­torin und die Kom­mis­sio­nen der IUCN aufzu­fordern, sich für zusät­zliche Vor­sichts­maß­nah­men einzuset­zen” in bezug auf „die Freiset­zung genetisch verän­dert­er Wildor­gan­is­men in natür­liche Ökosys­teme, die Verän­derung mikro­bieller Gemein­schaften oder die Schaf­fung neuar­tiger genetis­ch­er Ele­mente in natür­lichen Ökosys­te­men“.

Damit ein Antrag angenom­men wird, muss er bei der IUCN eine ein­fache Mehrheit in zwei Kat­e­gorien erhal­ten: Regierun­gen (Kat­e­gorie A) und NGOs und Organ­i­sa­tio­nen indi­gen­er Völk­er (Kat­e­gorien B und C). Regierun­gen haben drei Stim­men, inter­na­tionale NGOs haben zwei Stim­men und nationale NGOs und Organ­i­sa­tio­nen indi­gen­er Völk­er haben jew­eils eine Stimme. 

Die Forderung nach „zusät­zlichen Vor­sichts­maß­nah­men“ wurde von 54 Prozent der Stim­men sowohl der Regierun­gen als auch der NGOs unter­stützt.

Abstim­mungsergeb­nisse für den Änderungsantrag zu Antrag 087, der „zusät­zliche Schutz­maß­nah­men“ forderte  

Aufruf zum Aufschub von Gentechnik in der Natur knapp gescheitert

Ein Antrag von acht NGOs, der eine „vor­sor­gliche Aus­set­zung der Freiset­zung gen­tech­nisch verän­dert­er Wildor­gan­is­men in natür­liche Ökosys­teme” forderte, wurde knapp abgelehnt. Der Antrag wurde zwar von ein­er Mehrheit der NGO-Stim­men unter­stützt, erhielt jedoch nicht aus­re­ichend Stim­men von den Regierun­gen.

Ergeb­nisse für Antrag 133, der eine „vor­sor­gliche Aus­set­zung der Freiset­zung gen­tech­nisch verän­dert­er Wildor­gan­is­men in natür­liche Ökosys­teme” forderte 

Save Our Seeds hat­te sich zusam­men mit fast 100 weit­eren Organ­i­sa­tio­nen für diesen Antrag aus­ge­sprochen. Auf dem IUCN-Kongress ver­trat­en wir unsere Dachor­gan­i­sa­tion Deutsch­er Naturschutzring (DNR). 

Im Vor­feld der Abstim­mung hat­ten mehr als 120 Wis­senschaftler die IUCN-Mit­glieder aufge­fordert, „ein Mora­to­ri­um für die Freiset­zung von Organ­is­men, Pro­duk­ten und Wirk­stof­fen zu unter­stützen, die durch Gen­tech­nik und syn­thetis­che Biolo­gie erzeugt wur­den”. Sie warn­ten davor, dass die Freiset­zung solch­er Pro­duk­te in offene Ökosys­teme „irre­versible ökol­o­gis­che Störun­gen mit poten­ziell katas­trophalen Fol­gen für die biol­o­gis­che Vielfalt verur­sachen kön­nte”.

Guy Reeves, wis­senschaftlich­er Berater bei Save Our Seeds, kom­men­tierte: „In ein­er der umstrit­ten­sten Abstim­mungen ihrer 77-jähri­gen Geschichte hat sich die IUCN dafür entsch­ieden, den Ein­satz hochgr­a­dig inva­siv­er Gen­tech­nolo­gien in wildleben­den Pop­u­la­tio­nen zu befür­worten. Damit verbindet die Organ­i­sa­tion ihren Ruf mit exper­i­mentellen Tech­niken, über die sie keine Kon­trolle hat und bei denen sie keine echte Führungsrolle übernehmen kann.”

Holpriger Weg zur Moratoriumsentscheidung 

Die IUCN fol­gt in der Regel einem bewährten Eini­gungsver­fahren, so dass Anträge meist mit bre­it­er Unter­stützung angenom­men wer­den. Beim Antrag für ein Gen­tech­nik-Mora­to­ri­um ver­lief dies jedoch anders.

Während zweier Kom­men­tierungsphasen schlu­gen die Geg­n­er keine Änderun­gen am Text vor, son­dern argu­men­tierten lediglich, dass der Antrag im Wider­spruch zu den vorgeschla­ge­nen Leitlin­ien zur syn­thetis­chen Biolo­gie ste­he. Daher begann die eigentliche Arbeit am Text erst beim Kongress selb­st, nach­dem die Geg­n­er des Mora­to­ri­ums erkan­nt hat­ten, dass der Antrag tat­säch­lich zur Abstim­mung gestellt wer­den kön­nte.

In soge­nan­nten Kon­tak­t­grup­pen drängten diese Organ­i­sa­tio­nen nun darauf, die Präam­bel so zu ändern, dass sie ihre Ansicht­en wider­spiegelt. Zu der heiklen Frage, ob Gen­tech­nik in der Natur zum Naturschutz gehört, schlu­gen sie vor, dass die IUCN „die Uneinigkeit darüber anerken­nt, ob die Gen­tech­nik bei wildleben­den Arten in natür­lichen Ökosys­te­men … mit den Prak­tiken, Werten und Grund­sätzen des Naturschutzes und der in der Satzung der IUCN fest­gelegten Mis­sion und Ziele vere­in­bar ist“.

Da die Zeit knapp wurde, blieben einzelne Pas­sagen bis zum Tag der Abstim­mung umstrit­ten, und die IUCN-Mit­glieder mussten über mehrere Änderungsanträge abstim­men. Als der geän­derte Antrag 133 schließlich vorgelegt wurde, ver­suchte die aus­tralis­che NGO Min­deroo immer noch, die Abstim­mung zu block­ieren. Sie ver­wies dabei auf einen möglichen Ver­stoß gegen Entschei­dung 14/19 der Kon­ven­tion über die biol­o­gis­che Vielfalt. Es bedurfte mehrerer Inter­ven­tio­nen – u.a. von NGO-Mit­gliedern wie DNR, Benin Eco­tourism Con­cern, ProNatu­ra, Nature Cana­da, Polli­nis und dem Cen­tre for Envi­ron­men­tal Law – um den Antrag schließlich zur Abstim­mung zu brin­gen.

Nao­mi Kos­mehl, Kam­pag­nenko­or­di­na­torin bei Save Our Seeds, kom­men­tierte: „Es war ent­täuschend zu sehen, wie die Geg­n­er – nach­dem ihnen die Argu­mente gegen das Mora­to­ri­um aus­ge­gan­gen waren – zu Ver­fahren­stricks grif­f­en, um diesen Antrag zu ver­hin­dern. Dies hätte beina­he dazu geführt, dass der Antrag über­haupt nicht zur demokratis­chen Abstim­mung gestellt wor­den wäre.“

Einfluss der Technologieentwickler 

Die Unter­stützung für die Leitlin­ien und Ablehnung des Mora­to­ri­ums wur­den weit­ge­hend von Biotech­nolo­gie-Entwick­lern wie Tar­get Malar­ia vor­angetrieben. Tar­get Malar­ia will Gene Dri­ves freiset­zen, um Malar­ia über­tra­gende Mück­en in ihren natür­lichen Leben­sräu­men auszulöschen, was natür­liche Ökosys­teme empfind­lich stören kön­nte. Tar­get Malar­ia war auf dem Kongress zahlre­ich vertreten, eben­so wie andere Befür­worter der Biotech­nolo­gie, darunter die US-amerikanis­che NGO Revive & Restore, für die die Ablehnung des Antrags 133 „mis­sion crit­i­cal“ war.

Mal­ick Shah­baz Ahmed, Geschäfts­führer der Sun­gi Devel­op­ment Foun­da­tion und Mitini­tia­tor des Mora­to­ri­um­santrags, sagte: „Es ist besorgnis­er­re­gend, dass es eini­gen weni­gen finanzs­tarken Tech­nolo­gieen­twick­lern gelun­gen ist, die Agen­da der IUCN zu bee­in­flussen. Die meis­ten Mit­glieder ste­hen der Gen­tech­nik im Naturschutz eher ablehnend gegenüber. Den­noch hat die Organ­i­sa­tion als Ganze ver­säumt, sich von solchen Risikotech­nolo­gien zu dis­tanzieren. Entschei­dun­gen über neue Tech­nolo­gien, die die Natur gefährden kön­nten, müssen von Vor­sorge, Integrität und den Stim­men der Schwäch­sten geleit­et sein.”

Eine Union im Zwiespalt – die Debatte geht weiter  

Die Diskus­sion über Gen­tech­nik in der Natur hat die Mit­glied­schaft der IUCN tief ges­pal­ten.

Angesichts der Vielzahl neuer Tech­nolo­gien befür­worten die meis­ten IUCN-Mit­glieder eine Einzelfall­prü­fung der jew­eili­gen Vorschläge – von Gen­tech­nik-Bak­te­rien, die in geschlosse­nen Anla­gen bes­timmte Stoffe pro­duzieren, bis hin zur Freiset­zung von Gen­tech­nik-Organ­is­men, die ihre verän­derten Gene schnell in Wild­pop­u­la­tio­nen aus­bre­it­en sollen.

Etwa die Hälfte der Mit­glieder find­et es richtig, die Freiset­zung gen­tech­nisch verän­dert­er Wildor­gan­is­men in bere­its frag­ile Ökosys­teme zunächst nicht zu erlauben. Eine knappe Mehrheit befür­wortet „zusät­zliche Vor­sichts­maß­nah­men … bei der Freiset­zung gen­tech­nisch verän­dert­er Wildor­gan­is­men in natür­liche Ökosys­teme“.

Die Frage, ob die Gen­tech­nik bei wildleben­den Arten jemals mit der Mis­sion der IUCN – dem Erhalt der „Integrität und Vielfalt der Natur” – in Ein­klang gebracht wer­den kann, bleibt weit­er­hin ungelöst.

Benedikt Haer­lin, Koor­di­na­tor von Save Our Seeds, kam zu fol­gen­dem Schluss: „Nach­dem die IUCN der Gen­tech­nik in der Natur Tür und Tor geöffnet hat und es ver­säumt hat, selb­st vor den riskan­testen Anwen­dun­gen zu war­nen, sollte sie keines­falls den Ein­druck erweck­en, jeden Vorschlag uneingeschränkt zu unter­stützen. Um ihren Ruf und ihre Führungsrolle im Naturschutz zu wahren, sollte die IUCN umge­hend die vom Kongress geforderten ‚zusät­zlichen Vor­sichts­maß­nah­men‘ vorantreiben. Außer­dem sollte sie laut und deut­lich ihre Stimme erheben, wenn neue Gen­tech­nik-Pro­jek­te den Naturschutz zu unter­graben dro­hen.“

Weit­ere Infor­ma­tio­nen find­en Sie auf der Web­site der NGO-Koali­tion.

Hier find­en Sie unsere Pressemit­teilung nach dem IUCN-Kongress von Save Our SeedsPolli­nis (Frankre­ich) und Sun­gi Devel­op­ment Foun­da­tion (Pak­istan).   

Eindrücke vom Weltnaturschutz-Kongress 2025

Bild © IISD/ENB | Anas­ta­sia Rodopoulou – Franziska Achter­berg, Lei­t­erin Poli­tik bei Save Our Seeds, spricht im Plenum  

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