Gentechnik in der Natur? Warum wir ein Moratorium brauchen

Von Nao­mi Kos­mehl und Franziska Achter­berg, Save Our Seeds

Dieser Artikel erschien im Rund­brief II/2025 vom Forum Umwelt und Entwick­lung.

Die Welt­naturschutzu­nion (IUCN) debat­tiert über den Ein­satz von Gen­tech­nik in natür­lichen Leben­sräu­men Sollen gen­tech­nisch verän­derte Organ­is­men kün­ftig nicht nur in der Land­wirtschaft, son­dern auch in natür­lichen Ökosys­te­men einge­set­zt wer­den? Die Aus­rot­tung von Krankheit­süberträgern, die Besei­t­i­gung inva­siv­er Arten, Über­leben­shil­fen für bedro­hte Spezies, selb­st die Wieder­bele­bung bere­its aus­gestor­ben­er Lebens­for­men sollen nun mit­tels Gen­tech­nik erre­icht wer­den. Die möglichen Auswirkun­gen auf unsere ohne­hin angeschla­ge­nen Ökosys­teme sind nicht abse­hbar. Doch nicht nur deshalb sollte die Welt­naturschutzu­nion solchen Anwen­dun­gen klare Gren­zen set­zen.

Neue Eingriffe in die Evolution

Die Inter­na­tionale Union zur Bewahrung der Natur (IUCN) debat­tiert derzeit über die „syn­thetis­che Biolo­gie“ im Zusam­men­hang mit dem Naturschutz. Mit dem Begriff „syn­thetis­che Biolo­gie“ wird eine neue Gen­er­a­tion gen­tech­nis­ch­er Ver­fahren beze­ich­net, deren Anwen­dung weit über land­wirtschaftliche Kul­turpflanzen hin­aus­ge­ht. Dabei sollen einzelne Organ­is­men und ganze Ökosys­teme bewusst verän­dert oder neu kon­stru­iert wer­den. Ein Beispiel sind sich selb­st ver­bre­i­t­ende Impf­stoffe, um die Toll­wut bei Wildtieren zu kon­trol­lieren, ein anderes sind soge­nan­nte Gene Dri­ves zur Aus­rot­tung Malar­ia über­tra­gen­der Stech­mück­en.

Gen­tech­nik soll aber auch Naturschutzzie­len dienen, etwa um die genetis­che Vielfalt des bedro­ht­en Schwarz­fußiltis kün­stlich zu erweit­ern. Korallen sollen robuster und wider­stands­fähiger gegen Hitze gemacht wer­den. Arten, die bere­its aus­gestor­ben sind – wie das Woll­haar­mam­mut oder der Schat­ten­wolf – sollen durch gen­tech­nis­che Ein­griffe an ver­wandten Arten wieder „zurück­ge­holt“ wer­den. Mit­tels Gene Dri­ves sollen inva­sive Nag­er auf Inseln beseit­igt wer­den.

Zur Abschätzung und Bew­er­tung der langfristi­gen, ökosys­temaren Fol­gen der­art mas­siv­er und in aller Regel nicht rück­hol­bar­er Ein­griffe in die Evo­lu­tion fehlen bish­er allerd­ings wis­senschaftliche Grund­la­gen und Konzepte. Die Heilsver­sprechen dieses neuen Natur­de­signs sind dafür umso größer.

Gefährdete Natur als Versuchslabor

Aus der klas­sis­chen Gen­tech­nik stammt die ein­fache Erken­nt­nis, dass gen­tech­nisch verän­derte Pflanzen, die Insek­tizide pro­duzieren, die Bio­di­ver­sität gefährden kön­nen, zumal ihr Gift nicht nur die Zielor­gan­is­men tötet. Was aber sind die Fol­gen, wenn Gene-Dri­ve-Organ­is­men ihre ganze Art aus­rot­ten oder mit neuen genetis­chen Eigen­schaften verse­hen? Das ist sehr viel schw­er­er zu beurteilen. Die Natur wird zum Ver­such­sla­bor.

Wie ver­hal­ten sich die gen­tech­nisch verän­derten Tiere zu anderen wildleben­den Arten, etwa hin­sichtlich Paarungsver­hal­ten, Pop­u­la­tions­dy­namik und Nahrungsnet­zen? Was passiert, wenn bes­timmte Arten kün­stlich aus­gerot­tet wer­den – wer beset­zt die ökol­o­gis­che Leer­stelle? Und wer trägt die Ver­ant­wor­tung, wenn ein Staat oder ein Unternehmen gen­tech­nisch verän­derte Organ­is­men in ein Ökosys­tem ein­bringt und dadurch im eige­nen Land oder über Gren­zen hin­weg Schä­den entste­hen?

Das größte Prob­lem: Ist eine gen­tech­nis­che Verän­derung ein­mal in der freien Natur, lässt sie sich meist nicht mehr zurück­holen. Es gibt keinen Aus-Schal­ter für selb­stver­bre­i­t­ende Impf­stoffe oder neue, möglicher­weise inva­sive Arten. Gen­tech­nis­che Ein­griffe sind dauer­haft. Die Risiken tra­gen nicht die Entwick­ler, son­dern die Natur selb­st und kün­ftige Gen­er­a­tio­nen. In ein­er Sit­u­a­tion, in der unsere Ökosys­teme ohne­hin schon weit­ge­hend geschädigt sind, ist dies nicht zu ver­ant­worten.

Ethik und Gerechtigkeit – wer entscheidet über die Natur von morgen?

Die Anwen­dung von Gen­tech­nik in natür­lichen Ökosys­te­men wirft tief­greifende ethis­che Fra­gen auf. Fra­gen der inter­gen­er­a­tionellen Gerechtigkeit ste­hen eben­so im Raum wie die Frage, wer über­haupt das Recht haben soll, so weitre­ichend in die Natur einzu­greifen. Wer bes­timmt, welche Arten verän­dert oder sog­ar aus­gerot­tet wer­den dür­fen? Und wer entschei­det, dass für ein konkretes ökol­o­gis­ches Prob­lem statt ein­er ganzheitlichen Lösung ein tech­nis­ch­er Ein­griff aus­re­icht? Hier geht es nicht nur um wis­senschaftliche Bew­er­tun­gen, son­dern auch um weltan­schauliche und moralis­che Grund­hal­tun­gen. Sie soll­ten gesellschaftlich bre­it und demokratisch ver­han­delt wer­den.

Viele der vorgeschla­ge­nen tech­nis­chen Ein­griffe ste­hen im Wider­spruch zu den Per­spek­tiv­en indi­gen­er Gemein­schaften und tra­di­tioneller Wis­senssys­teme, die häu­fig auf ein­er engen Beziehung zwis­chen Men­sch und Ökosys­te­men beruhen. Gen­tech­nis­che Anwen­dun­gen wie Gene Dri­ves gehören zu einem Welt­bild, das die Natur kon­trol­lieren und manip­ulieren will, und mit anderen Welt­bildern nicht vere­in­bar ist.

Der Ein­satz von Gen­tech­nik zum Zwecke des Naturschutzes wäre keine Ergänzung beste­hen­der Meth­o­d­en, son­dern ein Par­a­dig­men­wech­sel: Die Natur würde nicht um ihrer selb­st willen geschützt, son­dern so verän­dert und „verbessert“, wie Men­schen dies für richtig hal­ten. Anstatt die Wech­sel­wirkun­gen inner­halb von Ökosys­te­men zu respek­tieren und zu stärken, wür­den kün­stlich erzeugte Organ­is­men in die Natur einge­bracht. Ob das mit den Werten und Prinzip­i­en des Arten­schutzes vere­in­bar ist, ist mehr als fraglich.

Diskussion in der Weltnaturschutzunion IUCN

Auf dem Welt­naturschutzkongress der IUCN im Okto­ber 2025 soll über zwei Res­o­lu­tio­nen abges­timmt wer­den. Die eine fordert ein Mora­to­ri­um für die Freiset­zung von syn­thetis­ch­er Biolo­gie in natür­liche Ökosys­teme. Sie schließt zunächst die Tür für Gen­tech­nik an wildleben­den Organ­is­men in der Natur und zwingt zu ein­er bre­it­en gesellschaftlichen Ver­ständi­gung über den Ein­satz solch unkalkulier­bar­er und unumkehrbar­er Tech­nolo­gien. Die andere Res­o­lu­tion sieht keine grund­sät­zlichen Prob­leme im Ein­satz von Gen­tech­nik in der Natur und set­zt lediglich auf die Einzelfall­prü­fung jed­er möglichen Anwen­dung. Sie sieht Gen­tech­nik als ein Werkzeug, dessen Risiken und ver­sproch­enen Vorteile im Einzelfall vor Ort gegeneinan­der abge­wogen wer­den sollen. Die Naturschutzge­mein­schaft kön­nte so instru­men­tal­isiert wer­den, um den Weg für den Ein­satz von Hochrisikotech­nolo­gien vor allem in der Land­wirtschaft und Bioökonomie zu ebnen.

Welche Res­o­lu­tion eine Mehrheit find­et, wird weitre­ichende Auswirkun­gen haben. Denn die Welt­naturschutzu­nion vere­int Umweltschut­zor­gan­i­sa­tio­nen, indi­gene Gemein­schaften, Unternehmen und Regierun­gen, um die Aus­rich­tung der weltweit­en Naturschutzbe­mühun­gen zu bes­tim­men. Ihre Beschlüsse haben Sig­nal­wirkung für inter­na­tionale Übereinkom­men wie die Kon­ven­tion für biol­o­gis­che Vielfalt der Vere­in­ten Natio­nen (UN CBD).

Für eine zukunftsfähige Naturschutzpolitik

Das Vor­sorgeprinzip sollte weit­er­hin als Leit­prinzip im Naturschutz gel­ten. Zahlre­iche Naturschut­zor­gan­i­sa­tio­nen fordern seit Langem einen ganzheitlichen Ansatz im Naturschutz, der auch die Ursachen des Arten­schwunds und nicht nur seine Symp­tome bekämpft. Nichts der­gle­ichen bringt die Gen­tech­nik. Sie ste­ht für teil­weise spek­takuläre, tech­nol­o­gis­che Schein­lö­sun­gen, die Gelder und Aufmerk­samkeit von nach­halti­gen Lösun­gen ablenken und im schlimm­sten Falle ein Busi­ness-as-usu­al recht­fer­ti­gen.

Naturschut­zor­gan­i­sa­tio­nen soll­ten sich jet­zt zu diesem wichti­gen The­ma posi­tion­ieren und ihren nationalen und inter­na­tionalen Dachor­gan­i­sa­tio­nen, staatlichen und wis­senschaftlichen Partner:innen klare Sig­nale senden. Save Our Seeds unter­stützt Sie gerne bei der Bil­dungsar­beit für Mit­glieder und poli­tis­chen Ini­tia­tiv­en zum Schutz der Natur vor gen­tech­nis­chem Design.

Mehr Infor­ma­tio­nen:

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Bild @Pixabay

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