Kleine Ursache — große Wirkung

Die Europäis­che Kom­mis­sion hat am 5. Juli einen lange erwarteten Geset­zen­twurf zur weit­ge­hen­den Dereg­ulierung der europäis­chen Gen­tech­nik-Geset­zge­bung für Pflanzen vorgelegt. Soll­ten Europa­parla­ment und Min­is­ter­rat ihn nach der Som­mer­pause so ver­ab­schieden, wäre das nicht nur das Ende des Vor­sorgeprinzips in diesem Bere­ich, son­dern auch der Türöffn­er für eine neue Form indus­trieller Land­wirtschaft in Europa.

Von Ben­ny Haer­lin, Save Our Seeds

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Das Hinzufü­gen, Ent­fer­nen oder Ver­tauschen einzel­ner Basen­paare im Erbgut kann einen gewalti­gen Unter­schied für das Funk­tion­ieren ein­er Zelle und die Eigen­schaften eines ganzen Organ­is­mus machen. Es ist ein wenig wie Johann Sebas­t­ian Bachs Def­i­n­i­tion von gekon­ntem Klavier­spiel: Man muss nur zur richti­gen Zeit die richtige Taste drück­en. So ein­fach ist das und doch auch so schw­er. Darin liegt der Reiz der Gen­tech­nik, aber auch ihr Risiko.

Die Europäis­che Kom­mis­sion schlägt nun vor, dass Pflanzen, die an bis zu zwanzig Stellen des Erbguts gen­tech­nisch verän­dert wur­den, den­noch wie herkömm­lich gezüchtete Pflanzen zu behan­deln sind. An diesen zwanzig Stellen dür­fen beliebig viele Basen­paare (Nuk­leotide) zer­stört oder in ihrer Rei­hen­folge umgekehrt wer­den, bis zu 20 Basen­paare verän­dert oder erset­zt wer­den, beliebig lange benach­barte DNA Sequen­zen durch ver­wandte Sequen­zen erset­zt wer­den und jede andere Verän­derung von beliebiger Länge vorgenom­men wer­den, die bere­its in irgen­dein­er mit der Pflanze direkt oder über Zwis­chen­schritte kreuzbaren Pflanze vorkommt.

Diese neuen Gen­tech­nikpflanzen bedür­fen kein­er indi­vidu­ellen Risiko­prü­fung und Zulas­sung mehr, müssten nicht länger rück­ver­fol­gbar sein und nicht mehr als GVO gekennze­ich­net wer­den, so der Vorschlag der EU Kom­mis­sion. Das wäre das Ende der vor­sor­gen­den und trans­par­enten Gen­tech­nikge­set­zge­bung wie sie seit 1990 in ver­schiede­nen Richtlin­ien und Verord­nun­gen der EU Gültigkeit hat.

Für diese neue Gen­tech­nik, die (zunächst nur bei Pflanzen) nicht mehr als Gen­tech­nik behan­delt wer­den soll, hat die Kom­mis­sion den Begriff „neue genomis­che Tech­niken“ einge­führt. Gemeint ist damit in erster Lin­ie die auch als „Gen­schere“ beze­ich­nete CRISPR-Cas Tech­nolo­gie, mit deren Hil­fe an genau definier­baren Stellen des Genoms ein Dop­pel­bruch der DNA erzeugt wird. Bei ihrer zelleige­nen Reparatur kann die DNA sodann gezielt verän­dert wer­den. Einzelne oder mehrere Basen­paare kön­nen umgeschrieben oder ent­fer­nt, aber auch län­gere DNA-Abschnitte still­gelegt oder neu an der Bruch­stelle einge­set­zt wer­den. Um eine solche „Edi­tierung“ des Erbgutes vornehmen zu kön­nen, wird zunächst mit klas­sis­chen Meth­o­d­en der Gen­tech­nik die bak­terielle DNA des CRISPR-Cas Enzyms samt RNA-Such­mech­a­nis­mus in die Zelle einge­bracht und anschließend möglichst wieder ent­fer­nt.

Eine neue Geschichte über die Gentechnik

Es han­dle sich bei dieser „Genom-Edi­tierung“, so die zen­trale Begrün­dung für die vorgeschla­gene Neube­w­er­tung der Kom­mis­sion, lediglich um „gezielte Muta­tio­nen“, die auch auf „natür­liche Art“ durch herkömm­liche Züch­tung entste­hen kön­nten. Damit ver­bun­dene Risiken für Umwelt und men­schliche Gesund­heit seien deshalb grund­sät­zlich nicht höher als die Pro­duk­te kon­ven­tioneller Züch­tung. Zudem seien sie von diesen nicht ein­mal zuver­läs­sig unter­schei­d­bar. Im Unter­schied zu „trans­ge­nen“ Organ­is­men, die „art­fremde“ DNA aus einem anderen Organ­is­mus enthal­ten, wür­den bei der „Cis­ge­nese“ nur exak­te Kopi­en von genetis­chem Mate­r­i­al aus ver­wandten Pflanzen ein­fügt, das bere­its im „Gen­pool der Züchter“ dieser Pflanzen irgend­wo auf der Welt ver­füg­bar ist. Falls die DNA-Kopie nicht exakt die gle­iche ist, son­dern schon ein wenig „umar­rang­iert“ wurde, etwa a ver­schiede­nen DNA-Abschnit­ten, die im „Gen­pool der Züchter“ vorkom­men, han­dle es sich um „Intra­ge­nese“. Auch sie könne behan­delt wer­den, als han­dle es sich dabei um herkömm­liche Züch­tung.

Das neue Dog­ma, das hier­aus abgeleit­et wird ist, dass von gen­tech­nisch verän­derten Pflanzen, die durch „gezielte Muta­ge­nese“ erzeugt wur­den und keine „art­fremde“ DNA im weitesten Sinne enthal­ten, keine anderen Gefahren für die Umwelt und men­schliche Gesund­heit aus­ge­hen kön­nen als von herkömm­lich gezüchteten.

Was die EU-Kom­mis­sion hier präsen­tiert, ist ein neues Nar­ra­tiv, eine alter­na­tive Wahrheit darüber, was Gen­tech­nik bedeutet und wie sie funk­tion­iert. Die Grund­be­griffe wur­den vor über 20 Jahren zunächst von Wis­senschaftlern der Wagenin­gen Uni­ver­sität mit damals mäßigem Erfolg entwick­elt. Den Anstoss gaben ethis­che Diskus­sio­nen mit zwei christlichen Parteien, bei denen es u.a. um die Integrität von Organ­is­men ging, die von gen­tech­nis­chen Verän­derun­gen mit eigen­em genetis­chem Mate­r­i­al möglicher­weise weniger ver­let­zt werde als von „art­frem­den”. Vorstösse des nieder­ländis­chen Par­la­ments, Cis­genetik, Intra­genetik und den Züchter-Pool in die europäis­che Geset­zge­bung einzuführen scheit­erten damals.

Doch seit CRISPR-Cas die deut­lich erlahmte Phan­tasie der Gen­tech­nik-Branche neu beflügelt, wird dieses Nar­ra­tiv nun mas­siv ver­bre­it­et: Das ist gar keine richtige Gen­tech­nik son­dern fast natür­liche Muta­ge­nese. Doch dann stellte der Europäis­che Gericht­shof im Jahre 2018 in einem Grund­satzurteil fest, dass sämtliche neuen Gen­tech­nikmeth­o­d­en (CRISPR-Cas, Tal­en, Zink­fin­ger-Nuk­leasen) unter das herrschende Gen­tech­nikrecht der EU fall­en. Man­gels prak­tis­ch­er Erfahrung und dank neuer tech­nis­ch­er Möglichkeit­en, kön­nten die neuen Gen­tech­nikmeth­o­d­en eventuell sog­ar riskan­ter sein als bish­erige Meth­ode. Sei­ther arbeit­et eine mil­lio­nen­schwere Indus­trielob­by und eine eher beschei­dene Abteilung der Gen­eraldirek­tion Gesund­heit bei der EU Kom­mis­sion daran, das Gesetz zu ändern, auf dessen Grund­lage der EuGH urteilte: Wer das Urteil nicht ändern kann, muss das Gesetz umschreiben. Die Europäis­che Lebens­mit­tel­sicher­heits­be­hörde EFSA wurde beauf­tragt, die Risiken der ver­schiede­nen Gen­tech­nik-Kat­e­gorien zu ver­gle­ichen und ihnen damit höhere wis­senschaftliche Wei­hen zu ver­lei­hen.

Wer nach wis­senschaftlich­er Lit­er­atur über Cisgenese, Intra­ge­nese oder den „breed­ers gene pool“ sucht, find­et diese Begriffe auss­chließlich im Zusam­men­hang mit der ange­blich nicht mehr zeit­gemäßen Gen­tech­nik-Zulas­sung­sprax­is in Europa. Das Nar­ra­tiv von riskan­ten Trans­ge­nen und unge­fährlichen Cis- und Intra­ge­nen, von groben gen­tech­nis­chen Manip­u­la­tio­nen der Ver­gan­gen­heit und präzisen Muta­tio­nen der Zukun­ft bietet Politiker*innen, Ernährungs- und Land­wirtschaft­sun­ternehmen eine Möglichkeit an, den Ein­satz für die Dereg­ulierung der Gen­tech­nik nicht als poli­tis­chen Sinneswan­del, son­dern als neuere wis­senschaftliche Erken­nt­nis zu präsen­tieren.

Es gibt viele Stellen in dem Dereg­ulierungsvorschlag, an denen gen­tech­nisch hin­länglich Gebildete und mit der Geschichte der Gen­tech­nikde­bat­te Ver­traute eigentlich nur einen Schluss ziehen kön­nen: Hier haben Men­schen, die die Anwen­dung von Gen­tech­nik in der Züch­tung seit Langem für unge­fährlich hal­ten und die bish­erige Gen­tech­nikge­set­zge­bung der EU für völ­lig über­zo­gen, sich ein Märchen für Poli­tik­er und die bre­ite Öffentlichkeit aus­gedacht, das einen zügi­gen Ausstieg aus dem ganzen „Hum­bug“ erlaubt. „Genom-edi­tierte“ Pflanzen sind dafür der Ein­stieg. Die Europäis­che Lebens­mit­tel­be­hörde EFSA arbeit­et bere­its an der Neube­w­er­tung gen­tech­nis­ch­er Verän­derun­gen bei Mikroor­gan­is­men.

Darf’s etwas komplexer sein?

Allerd­ings wider­spricht dieses Nar­ra­tiv von den guten und den frem­den Genen und von dem, was natür­lich ist und was nicht, vie­len neueren Ein­sicht­en der Moleku­lar­biolo­gie. Dort set­zt sich näm­lich die Erken­nt­nis durch, dass Zellen und Organ­is­men einzelne DNA Abschnitte nach Regeln able­sen und kom­binieren, die nicht ein­fach in die DNA selb­st „ein­pro­gram­miert“ sind.

Die Erken­nt­nis des Human Genome Project vor 20 Jahren, dass der men­schliche Kör­p­er über 200.000 ver­schiedene Eiweiße mit nur ca. 25.000 soge­nan­nten Genen, sprich ables­baren DNA-Abschnit­ten, erzeugt, hat unser Bild vom soge­nan­nten Bau­plan des Lebens grundle­gend verän­dert. Sei­ther hat die Epi­genetik eine Vielzahl von Ent­deck­un­gen gemacht, die das naive Bild der DNA als Pro­gramm-Code rel­a­tivieren. Dazu gehören die vielfälti­gen Funk­tio­nen von RNA, aber auch die Rolle jen­er 99 Prozent der DNA, die nicht den Bau­plan von Eiweis­sen codieren, und deshalb ursprünglich ein­mal als „junk DNA“ abge­tan wur­den. Es ist faszinierend: Je weit­er die Wis­senschaft in diese Wis­sens­ge­bi­ete vor­dringt, desto kom­plex­er wird das Bild. Dafür gibt ger­ade die CRISPR-Cas-Tech­nolo­gie, die das gezielte „Auss­chal­ten“ einzel­ner Gene ermöglicht, der Forschung ein enorm mächtiges, neues Instru­ment an die Hand.

Grob vere­in­facht kön­nte man die DNA vielle­icht mit ein­er Art fes­ten Ver­drah­tung ver­gle­ichen, der­er sich eine bish­er nur sehr unvoll­ständig ver­standene „Soft­ware“ der Zelle in unter­schiedlichen Zellen und Entwick­lungssta­di­en und bei ver­schiede­nen Umwelther­aus­forderun­gen bedi­ent. In Unken­nt­nis und unter Umge­hung der natür­lichen Regeln und Kon­trollmech­a­nis­men der Vererbung direkt in die DNA einzu­greifen, kann uner­wartete Risiken und Neben­wirkun­gen mit sich brin­gen.  Eine der­ar­tige Ein­griff­stiefe, so die bish­erige Grundüber­legung der vor­sor­gen­den Gen­tech­nikge­set­zge­bung der EU, bedarf beson­der­er Vor­sichts­maß­nah­men und Risikoab­schätzun­gen. Denn unsere Erfahrung mit der­ar­ti­gen Ein­grif­f­en und ihren unmit­tel­baren und mit­tel­baren, kurz- und länger­fristi­gen Auswirkun­gen sind nach wie vor begren­zt.

Hier endet lei­der auch die Erzäh­lung von der unge­heuren Präzi­sion der neuen Tech­nolo­gie. Erst wer ver­ste­ht, in welche Zusam­men­hänge sie oder er jew­eils direkt oder indi­rekt ein­greift, kann echte Präzi­sion für sich in Anspruch nehmen. Wer dage­gen besten­falls Wahrschein­lichkeit­en angeben kann, mit denen bes­timmte, noch so präzise Verän­derun­gen einzel­ner DNA Abschnitte verän­derte Eigen­schaften her­vor­brin­gen, ist von echter Kausal­ität und ver­lässlich­er Bew­er­tung nicht erwün­schter Möglichkeit­en noch weit ent­fer­nt. Auch ein mit äußer­ster Präzi­sion geführter Schlag ins Wass­er bleibt ein solch­er.

Ungereimtheiten

Es gibt eine Rei­he von wis­senschaftlich-tech­nis­chen Ein­wän­den gegen das Nar­ra­tiv der geziel­ten Muta­tion und ihrer unge­heuren Präzi­sion. Zu ihnen gehört unter anderem, dass CRISPR-Cas Enzyme zwar sehr genau auf eine bes­timmte Abfolge von Basen­paaren ange­set­zt wer­den kön­nen, nach denen ihre RNA-„Nase“ sucht. Sie ken­nen eine Stelle ihrer Wahl, an der ein geziel­ter Dop­pel­strang­bruch der Helix verur­sacht wer­den soll. Doch wie viele weit­ere gle­iche oder täuschend ähn­liche Sequen­zen sich an anderen Stellen des Genoms find­en, bleibt offen. Die Lit­er­atur zu unbe­ab­sichtigten und unvorherge­se­henen Fol­gen beim Ein­satz von CRISPR-Cas zu medi­zinis­chen Zweck­en ist erdrück­end. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die Lis­ten bei Pflanzen geringer wären. Erschreck­end ist eher, dass nach solchen unbe­ab­sichtigten Brüchen hier kaum gesucht wird.

Für Furore sorgte beispiel­sweise kür­zlich die Beschrei­bung eines „Chro­moth­rip­sis“ genan­nten Effek­ts von Dop­pel­strang­brüchen in Pflanzen, bei dem Teile des betrof­fe­nen Chro­mo­soms abreißen, mit mas­siv­en Fol­gen, die jedoch nicht immer leicht erkennbar sind. Dieser Effekt war in Zellen von Säugetieren und Men­schen bere­its seit län­gerem bekan­nt.

Dass CRISPR-Cas Brüche auch in solchen Regio­nen des Genoms verur­sacht, die von Natur aus gegen zufäl­lige Muta­tio­nen beson­ders gut geschützt sind, stellt die Behaup­tung stark in Frage, gezielte  Muta­tio­nen seien eigentlich nur harm­lose Vari­anten dessen, was in der Natur ständig passiert.

Nicht zulet­zt ist der beson­dere Mech­a­nis­mus von CRISPR-Cas, nicht nur eine, son­dern sämtliche Fund­stellen ein­er bes­timmten DNA-Sequenz im Genom gle­ichzeit­ig zu verän­dern, ein Effekt, der mit an Sicher­heit gren­zen­der Wahrschein­lichkeit bei natür­lichen Muta­tio­nen auszuschließen ist. Er gilt ja auch als beson­dere Stärke der Tech­nik: Weizen mit seinen vier bis sechs Chro­mo­somen­sätzen und entsprechend vie­len Kopi­en einzel­ner Gene, seine aller­gene Gluten Pro­duk­tion auszutreiben, kön­nte so möglich wer­den.

Hinzu kommt ein Ansatz, durch den George Church, ein Pio­nier und Enfant ter­ri­ble der Gen­tech­nik, mit sein­er Fir­ma Col­los­al den tas­man­is­chen Beutel­wolf oder das Mam­mut wieder aufer­ste­hen lassen will. Stück für Stück will er eine CRISPR-Verän­derung an die näch­ste rei­hen, um die 0,4% Unter­schied zwis­chen dem Genom des Mam­mut und dem des asi­atis­chen Ele­fan­ten zu über­brück­en. Für weniger ambi­tion­ierte Pflanzen­zucht-Ziele ist die sys­tem­a­tis­che Aneinan­der­rei­hung einzel­ner „geziel­ter Muta­tio­nen“ nicht unbe­d­ingt eine ver­sponnene Mam­mu­tauf­gabe. Ganze am Bild­schirm ent­wor­fene DNA-Sequen­zen ließen sich so möglicher­weise Schritt für Schritt auf einen Organ­is­mus über­tra­gen; wenn es der EU-Kom­mis­sion Freude macht, auch in Einzelschrit­ten von jew­eils 20 mal 20 Verän­derun­gen. Sie lan­den ja dann im breeder‘s pool als weit­er­er Schritte.

Weil nicht sein kann, was nicht sein darf

Der vielle­icht besorgnis­er­re­gend­ste Vorschlag der EU Kom­mis­sion liegt in der völ­lig neuen Herange­hensweise an die Risikoab­schätzung und –bew­er­tung der neuen Gen­tech­nik. Unter­sucht wer­den soll bei der Frage um welche Art von GVO es sich han­delt, kün­ftig nicht mehr der tat­säch­liche Organ­is­mus, son­dern nur noch das erfind­erische Konzept dieses GVO. Die Her­steller teilen der Behörde die beab­sichtigten Verän­derun­gen mit und die Prüfer unter­suchen nach Akten­lage inner­halb von 30 Tagen ob diese Verän­derun­gen ihrer Mei­n­ung nach auch mit herkömm­lichen Züch­tung­stech­niken erzeugt wer­den kön­nen bzw. cis­genetis­ch­er oder intra­genetis­ch­er Natur sind.

Eine konkrete Analyse und Würdi­gung nicht beab­sichtigter Verän­derun­gen ist nicht mehr vorge­se­hen. Das erin­nert an den berühmten Betrunk­e­nen, der nach dem ver­lore­nen Schlüs­sel­bund unter der Lat­er­ne sucht, weil nur dort Licht ist. Risiken und Neben­wirkun­gen dage­gen, so lehrt uns die Erfahrung, soll­ten wir ger­ade da suchen, wo wir sie nicht erwarten.

Apro­pos Schlüs­sel­bund: Die rät­sel­hafte Zahl von max­i­mal 20 Nuk­leoti­den, die von nun an als „natür­liche Muta­tion“ durchge­hen sollen, stammt – so die Ver­mu­tung beteiligter Wis­senschaftler —  ursprünglich aus ein­er Unter­suchung von natür­lich vork­om­menden genetis­chen Unter­schieden in 80 Pflanzen der gle­ichen Pflanzenart (Ack­er­schmal­wand, so etwas wie die Labor­maus der Pflanzen­genetik­er) aus dem Jahre 2011. Damals erlaubte es die einge­set­zte Test­meth­ode zum heuti­gen Bedauern der Wis­senschaftler nicht, län­gere Sequen­zen eben­so zuver­läs­sig zu erken­nen. Die Zahl scheint also in erster Lin­ie der Begren­zung der dama­li­gen Test­meth­o­d­en zu ver­danken zu sein.

Auf welchen Pfad wollen wir uns begeben?

Über all dies ließe sich tre­f­flich stre­it­en, spot­ten und philoso­phieren. Doch wir wer­den möglicher­weise im Laufe der kom­menden Jahre noch atem­ber­aubende Erschüt­terun­gen unser­er bish­eri­gen Vorstel­lun­gen von Genetik und Epi­genetik, von DNA und Mikro­bi­olo­gie erleben, die über jene der ver­gan­genen Jahrzehnte weit hin­aus­ge­hen. Denken wir nur an die rev­o­lu­tionären Erken­nt­nisse, die sich ger­ade über das Mikro­biom auch in der Öffentlichkeit durch­set­zen oder an die Möglichkeit­en, mit­tels soge­nan­nter kün­stlich­er Intel­li­genz in Minuten statt bish­er Jahren die drei­di­men­sion­ale Fal­tung von Eiweißen zu berech­nen. Die Com­put­er tun dies mit selb­stler­nen­den Pro­gram­men, deren Logik auch ihre Erfind­er nicht mehr nachvol­lziehen kön­nen. Ob uns dies eher begeis­tert oder beängstigt, wir soll­ten uns auf bahn­brechende neue Ein­sicht­en ein­stellen und auch auf möglicher­weise dis­rup­tive Anwen­dungsmöglichkeit­en in der Land­wirtschaft und Ernährung.

Dass fun­da­men­tale Verän­derun­gen von Nöten sind, ste­ht angesichts der Schä­den, die wir auf diesem Gebi­et der Natur derzeit zufü­gen, außer Frage. Eben­so ste­ht außer Frage, dass wir uns ger­ade deshalb gen­tech­nis­che Idi­o­tien wie die her­bizid­tol­er­an­ten Monokul­turen von Bay­er, Syn­gen­ta und Corte­va nicht weit­er leis­ten kön­nen und auch nicht deren Fort­führung mit anderen Mit­teln. An erster Stelle muss der Ausstieg aus ein­er indus­triellen Land­wirtschaft des let­zten Jahrhun­derts ste­hen, aus deren Überdün­gung und Vergif­tung, inef­fizien­ter Über­pro­duk­tion, Ver­schwen­dung und Ver­drän­gung bäuer­lich­er Exis­ten­zen und Pro­duk­tion von Lebens­mit­teln von immer gerin­ger­er Qual­ität. Diese agrarökol­o­gis­che Umgestal­tung zu ver­passen wäre nicht nur riskant, son­dern mit Sicher­heit eine tödliche Gefahr.

Wo Einigkeit über diese agrarökol­o­gis­che Wende herrscht, soll­ten wir mit Augen­maß und Ver­stand, um den Auf­bau von gegen­seit­igem Ver­trauen bemüht, über geeignete Tech­nolo­gien, Pri­or­itäten und zeitliche Per­spek­tiv­en in Forschung und Entwick­lung sprechen. Es geht dabei immer um kom­plexe und vielfältige Sys­teme, nicht einzelne Pro­duk­te, mit denen wir am Besten die unter­schiedlichen Her­aus­forderun­gen von Kli­mawan­del und Arten­ster­ben, Boden­frucht­barkeit und Wasser­haushal­ten meis­tern in ihrem jew­eili­gen regionalen und ökol­o­gis­chen Kon­text. Zu reden ist dabei auch über die ökol­o­gis­che, gesund­heitliche und soziale Beherrschbarkeit und Wirkung von Tech­nolo­gien und Entwick­lungsp­faden jen­seits der tech­nis­chen Risiken im engeren Sinne.

Sie lassen sich beim gegen­wär­ti­gen Stand des Wis­sens auf der einen und der enor­men Geschwindigkeit tech­nis­ch­er Entwick­lun­gen auf der anderen Seite schw­er­lich auf die Analyse einzel­ner moleku­lar­biol­o­gis­ch­er Tatbestände reduzieren. Die Rab­u­lis­tik und Winkelzüge der Def­i­n­i­tion von Cis­ge­nese, Intra­ge­nese und breed­ers gene pool wider­sprechen insofern nicht nur den Anforderun­gen evi­denzbasiert­er und solid­er Wis­senschaft. Sie lenken auch von den wirk­lichen Her­aus­forderun­gen und möglichen Gefahren und Risiken ab.

So spie­len die sink­enden Kosten sowohl der CRISPR-Cas Tech­nik als auch der Sequen­zierung von Genomen und ihrer dig­i­tal­en Ver­ar­beitung auch für die Wahrschein­lichkeit von tech­nis­chen Fehlern und Miss­brauch eine wesentliche Rolle. Für diese Pro­duk­te ger­ade in der gegen­wär­ti­gen Phase all­ge­mein­er Gold­gräber­stim­mung auf spez­i­fis­che Risikoab­schätzung und geord­nete Zulas­sung, Iden­ti­fizier­barkeit, Mon­i­tor­ing und Kennze­ich­nung zu verzicht­en, wider­spricht offen­sichtlich dem gesun­den Men­schen­ver­stand. Dereg­ulierung in Zeit­en eines explodieren­den tech­nol­o­gis­chen Inno­va­tion­ss­chubes mit ungewis­sem Aus­gang ist das Gegen­teil von Vor­sorge und Umsicht. Das sollte jede*r Politiker*in und jedes Mit­glied ein­er öffentlichen Ver­wal­tung begreifen und kön­nte es sich gegebe­nen­falls sog­ar von Elon Musk und anderen Pro­tag­o­nis­ten der Kün­stlichen Intel­li­genz erk­lären lassen.

Die Neue Saatgut-Ordnung

Zur sozialen Beherrschbarkeit, aber auch zur Opti­mierung des Inno­va­tionspo­ten­tials der gesamten Land­wirtschaft in Europa und der Welt gehört auch die Frage, wem die neuen, aber auch die alten tech­nol­o­gis­chen Möglichkeit­en kün­ftig gehören wer­den. Die Dereg­ulierung der Gen­tech­nik geht dabei mit der Gier nach „geistigem Eigen­tum“ an Saatgut und einzel­nen genetis­chen Eigen­schaften möglicher­weise eine fatale Verbindung ein. Was immer mit Hil­fe von CRISPR-Cas und ähn­lichen Gen­tech­niken entwick­elt wird, fällt nach gel­ten­dem Europäis­chen Paten­trecht nicht mehr unter grund­sät­zliche Ver­bot der Paten­tierung von „im wesentlichen biol­o­gis­chen Ver­fahren zur Pro­duk­tion von Pflanzen und Tieren“ (herkömm­lich­er Züch­tung etwa) und deren Pro­duk­ten. CRISPR-Cas wäre also ein Türöffn­er, um Saatgut bzw. einzelne Eigen­schaften zu paten­tieren und nicht mehr „nur“ unter Sorten­schutz zu stellen. Es ist nicht der einzige Weg, den die Paten­tan­wälte von Bay­er, Corte­va, Syn­gen­ta & Co derzeit beschre­it­en, aber der ein­fach­ste.

Der zen­trale Unter­schied: Mit geschützten Sorten kön­nen Züchter weit­er neue Sorten entwick­eln ohne dass es dafür der Zus­tim­mung des Sorten-Inhab­ers bedarf. Land­wirte kön­nen aus diesen Sorten eigenes Saatgut gewin­nen und opti­mieren. Bei paten­tiertem Saatgut läuft ohne die Zus­tim­mung und Lizenz des Patentin­hab­ers dage­gen nichts mehr. Das gilt, und hier kommt die Kennze­ich­nung und Iden­ti­fizier­barkeit des von GVOs ins Spiel, auch dann, wenn die paten­tierte Eigen­schaft zufäl­lig in Zucht- oder Pflanz­ma­te­r­i­al einkreuzt: Sie bleibt das exk­lu­sive Eigen­tum des Patentin­hab­ers.

Aus­gerech­net in Zeit­en, in denen die Anpas­sung und Entwick­lung neuer Sorten durch Kli­mawan­del und Arten­ver­lust eine beson­dere Dringlichkeit bekommt, würde die „Ver­crispe­rung“ der Züch­tung einem noch kleineren und exk­lu­siv­en Kreis von Unternehmen und deren Anwalt­skan­zleien das Feld über­lassen. Den Resten von „open source“, die im Sorten­recht ver­ankert sind, würde so der Garaus gemacht. Für jedes Zuch­tun­ternehmen wäre die Ver­suchung und bald auch der Konkur­ren­z­druck groß, neuen Sorten eine „gezielte Muta­tion“ anzuhän­gen, um den BäuerIn­nen den Nach­bau und der Konkur­renz die Nutzung des genetis­chen Mate­ri­als zu ver­sagen. Der gesamte Saatgut-Markt würde so in rel­a­tiv kurz­er Zeit ein­er neuen Wel­tord­nung unter­wor­fen. Die Fol­gen lassen sich heute bere­its in Ameri­ka besichti­gen, wo kleine und mit­tel­ständis­che Zuch­tun­ternehmen prak­tisch ver­schwun­den sind. Der Erhalt und die For­ten­twick­lung des vielle­icht wichtig­sten Erbes der Men­schheit, dessen Vielfalt schon seit Jahrzehn­ten klein­er und klein­er wird, würde endgültig zur exk­lu­siv­en Tech­nolo­gie einiger weniger Saatgut-Oli­garchen verkom­men; den gle­ichen übri­gens die die Kennze­ich­nung und Rück­ver­fol­gbarkeit dieser neuen Gen­tech­nik-Pro­duk­te mit dem Argu­ment bekämpfen, sie seien von herkömm­lich gezüchteten Vari­anten prak­tisch nicht zu unter­schei­den. Wenn es um ihre Patente geht, wer­den sie hier­für mit Sicher­heit Mit­tel und Wege find­en.

Praktische Vorsorge

Da Züch­tung und Gen­tech­nik an Pflanzen stets an der Keim­bahn anset­zt, also sich selb­st ver­mehrende Organ­is­men erzeu­gen, deren Eigen­schaften sich zudem in der Natur auf ver­wandte Arten auskreuzen und weit­er­ver­bre­it­en kön­nen, ist Vor­sorge geboten. Wir soll­ten mögliche Risiken vor­ab in der Prax­is unter­suchen und abschätzen. Der Ein­griff sollte im Not­fall so weit wie möglich rück­gängig gemacht wer­den kön­nen, die freige­set­zten GVOs zu diesem Zweck ein­deutig iden­ti­fizier­bar sein. Dies ist tech­nisch kein Prob­lem, wenn die Her­steller des GVOs kooperieren und wie bish­er einen Test als Bestandteil der Zulas­sung­sun­ter­la­gen ein­re­ichen.

Die Frage, über die jet­zt bei der möglichen Dereg­ulierung der Gen­tech­nik aber gestrit­ten wer­den muss, ist eine andere: Wieviel Respekt haben wir sin­nvoller­weise vor den sich abze­ich­nen­den neuen Manip­u­la­tion­s­möglichkeit­en und dem längst nicht begrif­f­e­nen großen Ganzen, in das wir mit ihnen ein­greifen? Und wie viel Vor­sicht ist im Umgang mit der men­schlichen Inno­va­tions­fähigkeit und daraus entste­hen­den Machtver­hält­nis­sen geboten?

Ist es wirk­lich sin­nvoll, der Gen­tech­nik-Zun­ft, die bei allem Respekt noch keinen einzi­gen überzeu­gen­den Beitrag zum ökol­o­gis­chen Umbau und zur Nach­haltigkeit von Ernährung und Land­wirtschaft vorzuweisen hat, durch weit­ge­hende Dereg­ulierung der bish­eri­gen Sicher­heits- und Trans­paren­zvorschriften kurzfristige Investi­tion­san­reize zu bieten? Sind solche Vorschuss-Lor­beeren gerecht­fer­tigt für eine Branche, deren einziger wirtschaftlich­er Erfolg in den let­zten 30 Jahren in einem Sys­tem von her­bizid­tol­er­an­ten und insek­tengifti­gen Pflanzen beste­ht, das weltweit gewaltige Umwelt- und Gesund­heitss­chä­den verur­sacht?

Respekt und Ehrlichkeit

Warum bele­gen die inter­essierten Kreise und Macher*innen nicht erst ein­mal beschei­den und unter Ein­hal­tung der gel­tenden Vorschriften wenig­stens einige ihrer voll­mundi­gen Ver­sprechen mit sauber entwick­el­ten Pro­duk­ten und Konzepten? Was fürcht­en sie denn? Warum soll auf keinen Fall mehr drauf­ste­hen was tat­säch­lich drin ist? Wer solche Forderun­gen stellt macht mis­strauisch.

Wir soll­ten die Men­schen, die diese Form des Umgangs mit der Natur auf ihren eige­nen Feldern, Gärten und Tellern aus welchen Grün­den auch immer ablehnen, respek­tieren, egal ob es sich dabei – wie gegen­wär­tig – um eine Mehrheit oder eine Min­der­heit han­delt. Deshalb müssen GVOs und ihre Pro­duk­te weit­er­hin klar gekennze­ich­net wer­den.

Nicht zulet­zt auch, um dem biol­o­gis­chen Land­bau, der den Ein­satz von Gen­tech­nik auss­chließt, nicht den Todesstoß zu ver­set­zen. Der Vorschlag der EU-Kom­mis­sion bekräftigt zwar weit­er­hin das Ver­bot des Ein­satzes, auch der neuen Gen­tech­nik im Ökoland­bau. Er über­lässt aber die Haf­tung dafür auss­chließlich der Bio­branche und die Regelung der nur noch schw­er vorstell­baren Koex­is­tenz den Mit­glied­staat­en. Und denen bindet sie dabei sog­ar noch eine Hand auf den Rück­en: Die bish­er möglichen nationalen oder regionalen Ein­schränkun­gen oder gar Ver­bote für den Anbau von GVOs wer­den für die nicht mehr rück­ver­fol­gbaren neuen GVOs kat­e­gorisch aus­geschlossen!

Wer aus diesen Regeln, v.a. aus der Pflicht zur Kennze­ich­nung ein ange­blich­es „Ver­bot der Gen­tech­nik“ in Europa macht, sollte sein Ver­hält­nis zum Recht auf Selb­st­bes­tim­mung und Wahl­frei­heit von Produzent*innen und Konsument*innen über­denken. Der Ver­such, den Stre­it um das The­ma dadurch zu been­den, dass dafür entschei­dende Infor­ma­tio­nen den sichtlich inter­essierten Bürg­erin­nen und Bürg­ern kün­ftig voren­thal­ten wer­den nach dem Mot­to „die Wis­senschaft hat fest­gestellt, dass Euch das nicht zu inter­essieren hat“ ist über­grif­fig.

Welch gewalti­gen Unter­schied eine einzige falsche Taste zur falschen Zeit machen kann, lieferte übri­gens auf der poli­tis­chen Klaviatur unlängst bei ein­er Anhörung im Bun­destag der FDP Abge­ord­nete Ingo Bod­ke, der meinte, die gezielte Muta­ge­nese werde mit Hil­fe von CRISPR-Cash her­beige­führt, das er auch welt­ge­wandt als „käsch“ aussprach und damit unfrei­willig eine große Wahrheit gelassen aussprach.

Noch kann der Vorschlag der EU Kom­mis­sion bei den Geset­zge­bern im Europa­parla­ment und im Min­is­ter­rat scheit­ern. Politiker*innen sind, anders als die Kom­mis­sion, ger­ade in Zeit­en bevorste­hen­der Wahlen nicht allein dem Druck der Indus­trie und der von ihr in diesem Falle fast fehler­frei orchestri­erten Lob­by inter­essiert­er Wis­senschaftler und Tech­niker aus­ge­set­zt. Sie müssen sich auch auf die Hal­tung des eige­nen Wahlvolkes ein­stellen.

Hier­von wird es nun abhän­gen, ob der Mittwoch, der 5. Juli 2023 als der bedauer­liche Anfang vom Ende der Vor­sorge und des Respek­ts bei der Grund­lage unser­er Ernährung in die Geschichte der EU einge­hen wird oder nur als der Moment, an dem die EU Kom­mis­sion mal wieder einen nicht so richtig durch­dacht­en Vorschlag gemacht hat.

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