Bei der Wir-haben-Agrarindustrie-satt-Demo am 18.01.2020 trommelte Save Our Seeds wieder für Vielfalt auf dem Acker und in der Natur. Unterstützt von der tollen Berliner Percussionband Bloco Explosão fordern wir mit dieser Aktion die Bundesregierung und die EU dazu auf, zum Schutz der Artenvielfalt ein nationales und EU-weites Freisetzungsverbot von Gene Drive Organismen in die Umwelt zu beschließen, der Forderung des Europaparlaments Folge zu leisten und sich bei der UN-Biodiversitätskonvention COP 15 für ein globales Gene Drive Moratorium einzusetzen. Hier geht's zu den Fotos der Aktion.
CBD - wenig Erfreuliches aus Cali
Die 16. UN-Artenschutzkonferenz in Cali, die am 1. November ohne gemeinsame Abschlusserklärung und finanzielle Einigung zu Ende gegangen war, brachte in Bezug auf die vorsorgende und effektive Regulierung der Gentechnik, insbesondere der Gene Drives zur gentechnischen Veränderung wildlebender Arten, leider wenig erfreuliche Ergebnisse. Hier ein Bericht unserer Vertreterin in Cali.
Save Our Seeds hatte mit einer Mitarbeiterin und einem Berater an der COP16 der Biodiversitätskonvention in Cali teilgenommen.
Wir haben uns dort eingesetzt für
(1) die Fortsetzung und Vertiefung des Horizon Scanning zu neuen technologischen Entwicklungen in der synthetischen Biologie. Eine multidisziplinäre Arbeitsgruppe, an der auch SOS in den vergangenen zwei Jahren beteiligt war, hatte empfohlen, sich einige Entwicklungen genauer anzuschauen, darunter die Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) in die synthetische Biologie und Gene Drives; (2) eine Überarbeitung der vorgeschlagenen Leitlinien zur Risikobewertung von Gene Drives sowie die Entwicklung weiterer Leitlinien für gentechnisch modifizierten Fisch, andere Wasserorganismen und selbstbegrenzende Insekten. Die Leitlinien zu Gene Drives waren unter Mitwirkung von Target Malaria so erstellt, dass ihre Anwendung für den Schutz vor den komplexen Risiken von Gene Drives unzureichend ist.
Folgende Beschlüsse wurden gefasst:
(1) Eine Expertengruppe mit neuer Zusammensetzung wird das Horizon Scanning in Bereich der synthetischen Biologie fortsetzen, jedoch nicht vertiefen. Bei der Betrachtung der neuesten Entwicklungen soll es vor allem um den Beitrag der synthetischen Biologie zur Erreichung der Ziele des Kunming-Montreal-Abkommens gehen.
(2) Eine weitere Expertengruppe soll den Bedarf an neuen Leitlinien für die Risikobewertung von gentechnisch veränderten Organismen im Rahmen des Cartagena-Protokolls untersuchen. Zunächst werden keine weiteren Leitlinien zu Fischen oder anderen gentechnisch veränderten Organismen erstellt.
Im Weiteren wurden ein Cali-Fonds geschaffen, über den auch die Länder des Globalen Südens sowie indigene Völker und lokale Gemeinschaften an den Erlösen aus digital gespeicherten genetischen Sequenzen beteiligt werden sollen. Auch Biotechnologiefirmen sollen bislang freiwillig in diesen Fonds einzahlen.
Bei der nächsten COP in zwei Jahren werden die Vertragsparteien des Cartagena-Protokoll sich auch über die unterschiedlichen gesetzlichen Anforderungen beim sog. Genome Editing auseinandersetzen. Verschiedene Länder haben gentechnisch veränderte Organismen, die mittels Genome Editing erzeugt wurden, aus ihren Gentechnikgesetzen ausgenommen oder sind dabei, dies zu tun.
Die Wandlung von CBD klassisch zu CBD 4.0
Die Weltnaturschutz-Konferenz CBD hat sich dramatisch gewandelt, meint Jim Thomas, der als Berater für Save Our Seeds an der Vorbereitung und den Verhandlungen der COP 16 in Cali beteiligt war. Der Weg von der klassischen CBD zur "CBD 4.0" sei gepflastert mit Techno- und Finanzversprechen einer neuen Generation von neoliberalen Naturgeschäftsleuten. Ein pointierter Haloween-Essay nach drei Wochen Öko-Show, Handelsmesse und Diplomatie in der Hitze von Cali.
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Die diesjährige Conference of the Parties (COP) der UN-Artenschutzkonvention fand in der Welthauptstadt der Salsa statt. Es war ein dreiwöchiges Spektakel in brütender Hitze. „Cali es caliente“, murmelten wir, während wir uns durch eine Mischung aus Öko-Show, Handelsmesse und ernsthaften diplomatischen Verhandlungen schwitzten. Für Außenstehende der „COP-Kultur“, die verstehen wollen, was sich in Sachen Biotechnologie in Cali abgespielt hat, hier ein grober Überblick.
Zunächst einmal ist es wichtig zu verstehen, dass es nicht nur einen Geist, sondern zwei verschiedene Geister gab, die die COP in Cali während dieser Zeit der Geister und Gespenster – Halloween fiel in die Zeit der Verhandlungen - besetzten und belebten.
CBD klassisch
Da ist zum einen die „gute alte COP“ - der Geist der Vergangenheit der CBD, wenn Sie so wollen. Dieser Geist umfasst die Geschichte, Werte, Prioritäten, Ziele und Programme, die viele von uns CBD-Oldtimern nur allzu gut kennen.
Das ursprüngliche UN-Übereinkommen über die biologische Vielfalt, das es seit drei Jahrzehnten gibt, ging aus dem Erdgipfel von Rio 1992 hervor. Es wurde zu einer Zeit ausgearbeitet, als einige gut informierte Umweltdiplomaten besorgt waren über die neue Bedrohung durch gentechnisch veränderte Pflanzen, die zu einer Beeinträchtigung der Artenvielfalt (und Biopiraterie an Saatgut, Tierrassen und indigenen Kulturen) beitragen würde. Diese klassische CBD-Agenda hat dem Vorsorgeprinzip einen festen Platz in ihrer DNA eingeräumt - zusammen mit einer vernünftigen Prüfung neuer Bedrohungen und aufkommender Probleme, der Vereinbarung von Kontrollrichtlinien, der Unterstützung artenreicher indigener Kulturen und so weiter.
Die klassische CBD-Agenda besteht auf den Gerechtigkeitsgrundsätzen und der Einbeziehung der sozioökonomischen Aspekte unserer ökologischen Krise. Deshalb gibt es das Cartagena-Protokoll über die biologische Sicherheit (das eine Risikobewertung für GVO vorschreibt), das Nagoya-Protokoll, das (eher schwach) versucht, gegen Biopiraterie vorzugehen, und das Nagoya-Kuala Lumpur-Zusatzprotokoll über Haftung und Schadensersatz, das (noch schwächer) besagt, dass für Schäden durch GVO gehaftet werden sollte.
Im klassischen Modus der CBD gab es in der Vergangenheit Moratorien für Terminator-Saatgut und Geo-Engineering, Leitlinien für die Risikobewertung, klare Stellungnahmen gegen gentechnisch veränderte Bäume und Gene Drives sowie andere halbwegs vernünftige multilaterale Entscheidungen, die durch Proteste vor Ort unterstützt wurden.
Diese alte Agenda setzt sich fort, nicht nur bei den Biotech-Themen, sondern auch in der 8(j)-Arbeitsgruppe, in der indigene Gemeinschaften ihre Bedürfnisse und Interessen in Bereichen wie Waldschutz, Schutz der biologischen Vielfalt der Meere und Klimawandel verteidigen. Da die klassische CBD nie viele Angebote für das Großkapital bereithielt, wurde die CBD im Vergleich zu den unternehmensfreundlicheren Klima-COPs als politischer Sonderweg behandelt, was ihr sogar den Spitznamen „NGO-COP“ einbrachte. Die Zivilgesellschaft mit ihren Moratorien und berechtigten Forderungen nach Gerechtigkeit, Agrarökologie, wirtschaftlichen und kulturellen Rechten und so weiter hatte dort eine Stimme.
CBD 4.0
In Cali fand jedoch eine andere Art von COP statt: eine neoliberale Öko-Handelsmesse im Stil des Wirtschaftsgipfels von Davos, gemischt mit Normierungsausschüssen zur Erschließung neuer Märkte für biologische Vielfalt und Hightech-Spielzeug der nächsten Generation.
CBD 4.0 steht für einen neuen Geist, der nicht erst auf dem vorherigen 'Weltnaturgipfel' in Montreal 2022 mit seinem prominenten Global Biodiversity Framework (KMGBF) entstand, dort aber volle Fahrt aufgenommen hat.
Von diesem Zeitpunkt an entdeckte eine neue, gewissermaßen gentrifizierende Gruppe jüngerer, finanziell gut ausgestatteter „grüner“ Nichtregierungsorganisationen, Finanziers und Philanthropen die CBD, als zögen sie in ein heruntergekommenes, aber gemütliches Stadtviertel, das sie zuvor nicht bemerkt hatten. Sie formierten sich um eine Strategie zur Finanzialisierung der Artenvielfalt. Die besteht aus „natur-positiven“ Kompensationsmaßnahmen, 30×30-Zielen für Schutzgebiete, dem Erlass von Schulden gegenüber der Natur und glitzernden neuen digitalen und genomischen Technologien („innovativen Lösungen“, wie manche sie lieber nennen).
Die CBD 4.0-Agenda bringt willkommene junge Energie mit sich, zieht aber auch Leute an, die sehr an Zahlen interessiert sind - insbesondere daran, wie viel Geld für die „Natur“ versprochen wird, die nun zu einer messbaren Größe geworden ist so wie der „Kohlenstoff“.
„Natur“ wird im Rahmen von CBD 4.0 in leuchtenden Farben auf NGO-Displays mit Jaguaren und indigenen Völkern präsentiert. Die Theorie der CBD 4.0-„Prediger“ ist, dass steigende Spenden - und etwas, das als „ Ambition“ zur Rettung der „Natur“ bezeichnet wird - uns auch der Rettung des „Klimas“ durch so genannte „naturbasierte Lösungen“ näher bringen werden (hauptsächlich für die Einzäunung von Land), einschließlich von Geldern, die in einen neuen Biodiversitätsfonds fließen.
CBD 4.0-Gläubige hoffen auch, dass schon eine kleine Steuer auf digitale Genomsequenzen einen Geldsegen für „grünes Wachstum“ und die „Natur“ bringen wird. Auf dem Weg dorthin entstehen neue lukrative Märkte und Tech-Start-ups für die Überwachung der Artenvielfalt, die Wiederherstellung von Ökosystemen und „naturfreundliche“ Technologien, die von energiehungriger Künstlicher Intelligenz gesteuert werden, die braven jungen Ökosoldaten Arbeitsplätze bieten und Biodiversitätsfinanzen für Unternehmen ermöglichen.
Dieses neoliberale Völkchen, von denen viele schon einmal von Bezos, Gates oder ähnlichen finanziert wurden, ist gekommen, um über den Transfer und Kapazitätsaufbau für die Entwicklung von Technologien, über Ziele und Finanzierung zu sprechen. Ihre Side-Events sind viel fröhlicher und beschwingter als die wütenden Angriffe auf den Kapitalismus bei den klassischen CBD-Teilnehmern.
Konflikte und Kontraste
Wie passt dazu nun die UN-Strategie in Bezug auf Biotechnologie, Gentechnik, synthetische Biologie und neue Technologien? Bei diesen Themen wurde auf der COP16 zumeist ein offener Kampf zwischen der klassischen CBD-Agenda und dem neuen CBD 4.0-Ansatz ausgetragen.
Da ist zunächst einmal das klassische Cartagena-Protokoll zur Biosicherheit. Mit seinem Fokus auf Vorsorge, Risiko und Regulierung lässt es die Industrie und die Davos-ähnliche CBD 4.0- Szene kalt. Am liebsten würde sie es von der Tagesordnung streichen. Ein zwischen den Konferenzen stattfindender Prozess zur Entwicklung von Leitlinien für die Risikobewertung von Gene Drives (sich selbst ausbreitende gentechnisch veränderte Organismen) wurde erfolgreich von Wissenschaftlern aus der Industrie gekapert, die die ursprünglichen Empfehlungen zur biologischen Sicherheit in Richtung eines abgespeckten (weniger vorsorgenden) Verfahrens umformulierten.
Die Nationen, die der Biotech- und Agrarindustrie besonders nahestehen (eine Gruppe mit dem Akronym CANJAB – für Kanada, Australien, Neuseeland, Japan, Argentinien und Brasilien - obwohl Großbritannien auch dabei ist), feierten diese Schwächung der Vorsorge auf der COP16 und setzten dann die Bestellung einer sehr beschränkte Expertengruppe durch, die mögliche Ideen und Vorschläge für weitere Leitlinien vorschlagen und so die eigentliche Arbeit für weitere zwei Jahre verhindern sollte. Eine frühere Abmachung, Leitlinien zur Risikobewertung für die Freisetzung von gentechnisch veränderten Fischen in Auftrag zu geben, wurde auf Eis gelegt.
Zur gleichen Zeit startete das „Compliance Committee“, der Ausschuss zur Überprüfung der Einhaltung des Cartagena-Protokolls, einen Versuch, die Vertragsparteien zu der öffentlichen Feststellung zu bewegen, dass sämtliche gentechnisch veränderten Nutzpflanzen im Rahmen des Protokolls rechtlich als „lebende veränderte Organismen“ („Living modified organisms“ im Cartagena-Slang, analog zu GMOs) zu betrachten sind und nicht von der Regulierung ausgenommen werden sollten. CANJAB war dazu nicht bereit. weil ihnen die Deregulierung gentechnisch veränderter Pflanzen, die in den verschiedenen Ländern bereits unterschiedlich fortgeschritten ist, ein wichtiges Anliegen ist. Stattdessen setzten sie einen Kompromisstext durch, der jede weitere Diskussion über diesen unbequemen Punkt um weitere zwei Jahre hinauszögert. Bis dahin könnten dann nationale und regionale Deregulierungspläne für Gen-Editierung bereits umgesetzt sein.
DNA - Wem gehört sie und wer zahlt dafür?
Bei den beiden verbleibenden großen „Biotech“-Themen auf der COP16 wurde der Kampf zwischen dem klassischen CBD-Ansatz und der neuen CBD 4.0-Agenda am deutlichsten spürbar.
Zum einen geht es um DSI (Digital Sequence Information) - also digitale Versionen von DNA-Code, die zu Millionen in Cloud-Datenbanken gespeichert sind und zum Trainieren kommerzieller KI-Modelle verwendet werden. Der klassische Ansatz der CBD zu diesem Thema hieß ABS (Access and Benefit Sharing). Er hatte einige Probleme, war aber zumindest in erster Linie durch die Sorge um Biopiraterie motiviert. Das Nagoya-Protokoll sieht vor, dass Unternehmen, die genetisches Material (z. B. Saatgut oder DNA) zur kommerziellen Nutzung über die Grenzen bringen, eine Entschädigung an die ursprünglichen Verwalter, sprich lokale Gemeinden und deren Staaten zahlen müssen.
Seit jedoch Gene und Sequenzen digitalisiert und per E-Mail versendet werden, ist diese Regelung überholt - ein neuer Mechanismus muss her. Hier kommt CBD 4.0 ins Spiel.
Anstatt sicherzustellen, dass digitale DNA-Sequenzen nachverfolgt werden können, um die Einhaltung des ABS zu gewährleisten, ist die neoliberale Antwort, einen großen (möglichst freiwilligen) multilateralen Fonds einzurichten, an den die Nutzer digitaler Sequenzen wie Pharma-, KI- und Biotech-Unternehmen ein paar Groschen spenden können. Dieser Fonds wird entweder an indigene Gemeinschaften gehen oder in irgendeiner Mischform den „Geld für Natur“- Budgetlinien zugeschlagen werden, die die CBD 4.0-Gemeinde so wichtig sind. Das Geld könnte auf diese Weise als „nicht-monetärer Nutzen“ sogar in Technologietransfer oder Biotechnologie-Training fließen.
In Cali saßen Hunderte von Delegierten jeden Tag stundenlang - manchmal sogar Tag und Nacht - zusammen, um die Details dieses neuen multilateralen Fonds und Mechanismus auszuhandeln. Alle schienen beseelt von der Vorstellung, dass in diesem Fonds tatsächlich ein wenig Geld zu finden sein würde. In dieser Aufregung entfernten sich die Verhandlungen immer weiter von Fragen der Gerechtigkeit, des Zugangs und des Vorteilsausgleichs. Alles konzentrierte sich stattdessen auf die Frage, wer es vermeiden kann, in den Fonds einzuzahlen, und wer sich in die Schlange stellen kann, um Geld aus ihm zu erhalten.
Den Horizont absuchen, ohne ihn zu sehen
Am Schärfsten war der Streit beim Tagesordnungspunkt „Synthetische Biologie“.
In der CBD bezeichnet „synthetische Biologie“ alle neuen Entwicklungen in der Gentechnik - wie etwa synthetische Organismen, Gen-Editing, Gene Drives, RNAI-Sprays und mehr. Synthetische Biologie (oder Synbio) ist seit 15 Jahren ein klassisches CBD-Thema, bei dem es um Vorsorge, Regulierung und Aufsicht geht. In all den Jahren argumentierte die Industrie, Synbio erfülle gar nicht die technischen Kriterien für ein „neues und aufkommendes Thema“ (tut sie aber).
Bei der COP15 in Montreal 2022 führten die Vertragsparteien ein bahnbrechendes Verfahren zur Früherkennung, Beobachtung und Bewertung der jüngsten technologischen Entwicklungen ein, mit dem neue Herausforderungen und Bedrohungen frühzeitig ermittelt und für eine Bewertung und politische Maßnahmen erschlossen werden sollen.
Dieser Prozess war eine neuartige Konkretisierung des Vorsorgeprinzips, und die Industrie wehrte sich mit Händen und Füßen gegen seine Einführung (und verlor). Danach arbeitete eine multidisziplinäre Expertengruppe zwei Jahre lang unermüdlich an der detaillierten Ausgestaltung des Prozesses und führte dann eine erste Runde der Früherkennung und -bewertung durch. Dabei kam sie zu dem Schluss, dass die CBD fünf Bereiche genauer unter die Lupe nehmen müsse, darunter Gene Drives, künstliche Intelligenz und sich selbst verbreitende virale Impfstoffe für Wildtiere.
Anstatt diese Empfehlungen umzusetzen, beschimpften und verunglimpften CANJAB und das Vereinigte Königreich die Arbeit dieser Expertengruppe und erzwangen in den Verhandlungen einen Schwenk zur CBD 4.0-Agenda.
Durch die Einführung eines „thematischen Aktionsplans“ für Kapazitätsaufbau und Technologietransfer schnürten CANJAB und Großbritannien stattdessen ein Paket zur Förderung der synthetischen Biologie, in dem die Biotechnologie als Quelle glänzender „innovativer Lösungen“ (Technofixes) präsentiert wird, die den Zielen des Globalen Biodiversitätsrahmens von 2022 (KMGBF) dienen und somit förderfähig wären.
Bei den neuen Finanzierungstöpfen der DSI und des Globalen Biodiversitäts-Rahmenfonds, die im Zuge der Umsetzung des KMGBF eingerichtet wurden - brachte die CANJAB-Gruppe die Regierungen Afrikas und anderer Länder des Südens auf ihre Seite, indem sie allgemein Gelder für den Kapazitätsaufbau und den möglichen Transfer neuer Synbio-Technologien in ihre Volkswirtschaften versprach.
Das Verfahren zur Früherkennung, Beobachtung und Bewertung neuer technologischer Entwicklungen stand unterdessen auf der Kippe. Die CANJAB-Verhandlungsführer drängten gar auf seine formelle „Abschaffung“, ein bis dahin unbekannter Schritt.
Glücklicherweise bestanden Europa und einige afrikanische und mittelamerikanische Länder (z.B. Ägypten, Guatemala) darauf, Reste der klassischen CBD-Agenda der Vorsorge und Überwachung zu schützen.
Als Kompromiss wird nun eine weitere, technikzentrierte Expertengruppe einberufen, um erneut den Horizont abzusuchen und Empfehlungen für die Bewertung neuer technologischer Entwicklungen abzugeben. Auch wenn der Prozess gerettet wurde - und wahrscheinlich nützliches Wissen generieren wird – sollte man sich keinen Illusionen hingeben. CANJAB und das Vereinigte Königreich werden von nun an alle zwei Jahre echte Entscheidungen oder Bewertungen blockieren, während sie gleichzeitig das Förderpaket für die Synbio-Industrie erweitern. Das wird zunehmend mit den größeren wirtschaftlichen Strömungen harmonieren, die sich in der „blauen Zone“ abzeichnen.
Süßes oder Saures?
Die Verhandlungen waren spannend, doch was wirklich ins Auge stach, waren die spekulativen Technologien und radikalen Finanzialisierungsmodelle, die bei den Begleitveranstaltungen und an den Ausstellungsständen zu sehen waren. In einer pompösen Präsentation von XPRIZE Rainforest (einem mit 10 Millionen Dollar dotierten Fünfjahreswettbewerb “zur Verbesserung des Verständnisses der Ökosysteme des Regenwaldes“) beispielsweise wurden Macho-Forscherteams mit einem Schwarm von Drohnen, Robotern, genomischen Sonden, akustischen Sensoren und Gesichtserkennungskameras vorgestellt, die eine umfassende Echtzeit-KI-Kontrolle und Überwachung indigener Gebiete durchführen, um neue Biodiversitätskredite für die Finanzmärkte zu sichern.
Die Entwickler von Gene Drives warben für manipulierte Ratten und Mücken als neue Anwendungen in ihrer expansiven Gentech-Bibliothek. Privatunternehmen boten an, Gemeinden dafür zu bezahlen, dass sie kontinuierlich Boden-, Wasser- und Luftproben für genomische Sequenzierungen sammeln, um ihre „generativen Biologie“-Plattformen zu füttern, mit deren Hilfe sie neuartige, KI-generierte Proteine an Proctor & Gamble verkaufen wollen.
Während Halloween näher rückte, bot eine schaurige Parade von mit „Natur“-Masken verkleideten Tech-Brüdern, Start-ups, Banken und Handelskonzernen die Wiederherstellung von Ökosystemen, Kompensationszahlungen für biologische Vielfalt, e-DNA und mehr feil, während verwirrte nationale Delegierte sich tief auf dem unbekanntem techno-utopischem Gelände verirrten.
Glücklicherweise hatten zumindest einige, unter Beschwörung der alten Geister der klassischen CBD, noch den Willen und die Fähigkeit zu fragen, ob diese schicken neuen Halloween-Süßigkeiten, die da angeboten wurden, nicht in Wirklichkeit doch eher aus dem Topf für Saures stammen.
Jim Thomas ist Aktivist, Autor, Forscher und Stratege, der neue Trends, aufkommende Zukunftsszenarien und interessante Entwicklungen am politischen Horizont in den Bereichen Technologie, biologische Vielfalt, Lebensmittel und Gerechtigkeit verfolgt. Er war im Auftrag von „Save Our Seeds“ an den Verhandlungen in Cali und deren Vorbereitung beteiligt. Der Originalartikel erschien unter dem Titel „ A Tale of Two CBDs – Trick or Treat at COP16” in A bigger Conversation Besuchen Sie seinen Blog Scan the Horizon für weitere Analysen und Links zum Thema.
Komplexität wagen – Vielfalt kultivieren
Bei der „Farbe der Forschung III“ am 15. und 16. März 2024 berichteten in der Heinrich-Böll-Stiftung zu Berlin auf Einladung der Zukunftsstiftung Landwirtschaft Bäuer*innen, Forscher*innen und Expert*innen aus aller Welt von ihren Erfahrungen und ihrer Forschung zu Misch- und Vielfaltskulturen. Sie sind zum Beispiel die Grundlage der weltweit größten Umstellung auf agrarökologische Produktion, an der im indischen Andra Pradesh eine Million kleinbäuerliche Höfe beteiligt sind. Auch in China haben große Streifen-Mischkulturen eine lange Tradition und in Europa untersuchen Forscher*innen verschiedenste Mischkulturen und weitere Methoden, die Vielfalt zu erhöhen.
Mischkulturen, große Vielfalt und der Aufbau gesunder Böden sind zur Steigerung des Ertrages und der Widerstandsfähigkeit landwirtschaftlicher Kulturen am besten geeignet und zur Bewältigung der großen Herausforderungen Klimawandel, Biodiversitätsverlust, Süsswassermanagement und zur Wiederbelebung ländlicher Regionen. Dabei spielen Bodenmikrobiome ebenso eine Rolle wie Lebensmittel-Produktionssysteme, die lokal verortet und sozial vernetzt sind.
Was ist das Erfolgsgeheimnis von Mischkulturen? Wir alle gedeihen letztlich nur in komplexen Gemeinschaften von Mikroben, Pilzen, Insekten, Pflanzen und Tieren. Die Pionierin Lynn Margulis, deren Vermächtnis am Kongress vorgestellt wurde, schrieb: ‚Wir alle sind wandelnde Gemeinschaften von Mikroben‘ – Pflanzen, Tiere und wir Menschen. Und alle Lebewesen, auch kleinste Bakterien, kommunizieren und interagieren – ein unermessliches Netz von Beziehungen, das sich immer verändert, immer im Fluss ist. Es ist Leben, das voneinander abhängt, und es ist unmöglich, Konkurrenz und Kooperation dabei immer auseinanderzuhalten. Wenn wir Lebewesen so begreifen, eröffnen sich neue Perspektiven, auch für die Landwirtschaft.
Und welche Rolle spielen bei der wissenschaftlichen und praktischen Umsetzung dieser transformierenden Perspektive und neuen Komplexität Maschinenlernen, Algorithmen und digitale Techniken? Sie eröffnen neue Dimensionen der Erfassung und Vernetzung von Daten, der Simulation aber auch von Kontrolle und Manipulierbarkeit durch einige wenige Tech-Giganten, die riesige Datenmengen von Feldern, Pflanzen, Mikroben und DNA privatisieren und kontrollieren.
20 Referierende führten zu diesen Themenkomplexen knapp 100 Teilnehmer*innen durch ein dichtes, atemberaubendes und höchst inspirierendes Programm, dessen ganz besondere Qualität sich selbst aus der Vielfalt der Zugänge zu den Themen ergab, vorgetragen von der Gärtnerin über Professorinnen und Forschende bis zu Landwirten, Autorinnen und Aktivisten.
die ersten 1000.000 Unterschriften
... für Vorsorge und Kennzeichnung statt Gentechnik-Deregulierung sind geknackt! Hier geht's weiter!
EU Parlament knapp für GMO-Deregulierung
Knapper als zuletzt befürchtet stimmte am 7.2. das Europäische Parlament mit einer Mehrheit von Christdemokraten, Liberalen und mehr oder weniger extremen Rechten für den Deregulierungsvorschlag der EU-Kommission im Umgang mit neuen Gentechniken. An einigen Stellen wollen die Parlamentarier sogar noch weiter gehen als die Kommission. Ihre Definition der Gentechnik-Konstrukte, die nicht mehr sicherheitsgeprüft werden müssen, ist noch etwas abenteuerlicher als die der Kommission. Andererseits fordert das Parlament zum Ärger der Industrie eine Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit. Die gute Nachricht: Die Vertreter der Regierungen konnten sich am gleichen Tag auf keinen gemeinsamen Standpunkt zu der Verordnung einigen.Hier unser erster Kommentar:
Das heutige Votum des Europäischen Parlamentes für die Deregulierung des bisherigen Gentechnikrechts der EU war eine traurige Nachricht für Europas Landwirtschaft und Umwelt, für die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher Europas, für das Vorsorgeprinzip und für einen aufgeklärten und kritischen Umgang mit neuen Technologien sowie den respektvollen Umgang mit unterschiedlichen Anbau- und Ernährungsformen.
Doch die überraschend knappe und teilweise auch widersprüchliche Entscheidung des Parlamentes heute ist noch nicht das Ende der Auseinandersetzung um Ehrlichkeit, Vorsorge und Transparenz beim Einsatz der Gentechnik auf Europas Äckern und Tellern. Sie hat in der breiteren Öffentlichkeit gerade erst begonnen.
Mit ebenfalls knapper Mehrheit forderte das EP heute immerhin eine Kennzeichnung aller neuen Gentechnikprodukte. Das ist eine schwere Schlappe für die ansonsten so erfolgreiche Kampagne der Industrie-Lobby, die im Vorfeld gerade die Kennzeichnung und damit Wahlfreiheit der Verbraucher mit einem Verbot der Vermarktung ihrer Produkte gleichsetzte. Auch die Forderung des Parlaments, die neuen Gentechnikprodukte rückverfolgbar zu machen und auch wieder verbieten zu können, wenn Zweifel an ihrer Sicherheit auftauchen, ist nicht im Sinne der Initiatoren der Deregulierung.
Die gute Nachricht des Tages ist jedoch, dass die Mitgliedsstaaten im Rat ihrer Ständigen Vertreter sich nicht auf eine gemeinsame Position zu dem Deregulierungsvorschlag der EU Kommission einigen konnten. Damit ist die Überrumpelungs-Strategie der Industrie und der mit ihr verbündeten, anti-ökologischen Front von Christdemokraten, Liberalen und mehr oder weniger extremen Rechten gescheitert. Die Entscheidung wird wohl erst nach den Neuwahlen und der Sommerpause fallen.
In dieser Zeit wird die zuletzt immer deutlichere wissenschaftliche Kritik an dem Konzept der Kommission und des Parlamentes weiter vertieft. Das wenig glaubhafte Versprechen, die Patentierung von Gentechnik-Saatgut verhindern zu können, wird rechtlich geprüft. Es bleibt Zeit, die tatsächlichen Risiken und möglichen Folgen einer kompletten Deregulierung gründlich zu überdenken. Im Wahlkampf werden Millionen Wählerinnen und Wählern die Position ihrer Abgeordneten hinterfragen können.
Es bleibt bei aller Enttäuschung über die knappe Kampfabstimmung heute also durchaus Hoffnung, den geplanten Durchmarsch der Gentechnik-Industrie zu stoppen. Immerhin hat der heutige Tag deutlich gemacht, dass nicht nur die Mehrheit der Bevölkerung Europas, sondern auch eine starke Minderheit in ihrem Parlament sich weiterhin für Wahlfreiheit, Vorsorge und Respekt vor der Landwirtschaft und ihren unterschiedlichen Anbaumethoden einsetzt. Wir werden uns nach Kräften bemühen, letztlich doch noch der Vernunft und der Verständigung im demokratischen Umgang mit den neuen Gentechniken zum Erfolg zu verhelfen.
Die neuesten aktuellen Nachrichten zu dem Thema wie immer beim Informationsdienst Gentechnik
„CDU und FDP – Gentechnik ist nicht OK!“
Gentechnik war ein zentrales Thema der 14. „Wir haben es satt“ Demonstration am 20. Januar in Berlin. Mehr als 8000 demonstrierten vor dem Kanzleramt gegen die geplante Deregulierung der Gentechnik und für konstruktive Forderungen zum Umbau der Landwirtschaft. Unser Riesenplakat mit den Versprechen von Olaf Scholz zu Vorsorge und Kennzeichnung war auf einem der 50 Schlepper auch mit dabei. Mehr zur Demo Rede von Benny Haerlin (SOS) zum Auftakt der Demo und ... auf youtube
Wort halten, Olaf!
Mit Riesenbannern vor dem Reichstag und dem Kanzleramt und mit vielen Plakaten in der Berliner Innenstadt fordern wir den Bundeskanzler auf, sich an das zu halten was er uns zur Bundestagswahl in einem Brief versprochen hat: neue Gentechnik auf Sicherheit zu prüfen und zu kennzeichnen, damit wir alle selbst entscheiden können. Jetzt zählt es. Bitte unterstützen Sie uns bei der Aktion.
Deregulierung scheitert im Ministerrat
Geschafft für heute! Mit denkbar knapper Sperrminorität konnten sich die Agrarminister am 11.12.23 nicht darauf einigen, dem Vorschlag der EU-Kommission zur Deregulierung der Gentechnik zu folgen. Ein wichtiger Erfolg für alle, die Vorsorge und Wahlfreiheit verteidigen. Die deutsche Enthaltung war dafür ebenso entscheidend wie die polnische.
Der Druck der Lobby auf die beiden Ministerien hat bereits begonnen und der spanische Agrarminister, der die Deregulierung zu seiner wichtigsten Priorität erklärt hatte, scheint weiter darauf zu hoffen, das Ruder doch noch vor Weihnachten herum zu reißen.Selbst wenn ihm dies nicht gelingen sollte, wird die Deregulierung bereits im Januar wieder auf der Tagesordnung des Parlaments und des Ministerrates stehen. „Eine knappe und aggressive Mehrheit will die Deregulierung der Gentechnik nach wie vor mit allen Mitteln durchziehen bevor es zu einer breiteren, öffentlichen Diskussion darüber kommt,“ sagte Benny Haerlin von Save Our Seeds, „denn sowohl den der Regierungen als auch den Abgeordneten ist klar, dass sie mit dieser Haltung keine Mehrheit in der eigenen Bevölkerung und bei den eigenen Wählerinnen und Wählern haben.“
Er appelliert an die „besonnenen und erfahreneren unter den Politiker*innen“ nicht darauf zu setzen, gegen den Willen der meisten Wähler,innen noch vor den Europawahlen vollendete Tatsachen zu schaffen. „Wenn die neuen Gentechnik-Produkte aus aller Welt erst einmal auf den Markt drängen, wenn klar wird, dass niemand sich mehr frei dafür oder dagegen entscheiden kann und wenn sich möglicherweise die Versprechungen der Gentechnik-Industrie einmal mehr als heiße Luft, ihre Patente und Monopole dagegen als bittere Realität erweisen, wird diese Rechnung zu begleichen sein,“ warnte Haerlin, „bleiben Sie also besser bei Trost, denken Sie in Ruhe nach und lassen Sie sich nicht in eine Haltung hetzen, die Sie schon bald bereuen könnten!“
139 Verbände gegen Gentech-Deregulierung
In einer Breite, die es schon lange nicht mehr gab, appellieren fast alle namhaften Umwelt-, Naturschutz- Verbraucher-, Bio- und Entwicklungsorganisationen Deutschlands an die Bundesregierung und EU-Abgeordneten, der von der EU-Kommission vorgeschlagenen Deregulierung neuer Gentechnik-Verfahren eine klare Abfuhr zu erteilen. Der aktuelle Gesetzesvorschlag sei abzulehnen, Kennzeichnung, Risikoprüfung und Rückholbarkeit seien unverzichtbar, die Patentierung von Saatgut dürfe nicht das Ergebnis sein.
Beteiligen Sie sich an dem Protest: Schreiben Sie hier an Ihre Europaabgeordneten. Hier das Positionspapier der Verbände.
GMO Free Europe 2023
Mehr als 200 Vertreter*innen nationaler und regionaler Regierungen und Kommunen, von Bauern-, Lebensmittel- und Umwelt-Organisationen, Wissenschaftler*innen und Geschäftsleute trafen sich am 7. September 2023 live und online im Europäischen Parlament, um den Vorschlag der EU-Kommission zur Deregulierung der EU-Rechtsvorschriften zur Gentechnik in der Lebensmittel- und Landwirtschaft zu diskutieren. Ihr einhelliges Urteil: Dieser Vorschlag ist inakzeptabel. Er sei wissenschaftlich fehlerhaft und absichtlich irreführend in Bezug auf die Reichweite und die Risiken von GVO, ignoriere die Forderung der europäischen Bürger*innen nach Transparenz und Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermitteln und öffne Tür und Tor für die Patentierung von Saatgut und eine noch stärkere Kontrolle des Saatgutmarktes durch multinationale Konzerne.
Die Mitglieder des Parlaments sowie die österreichische Umwelt- und Klimaministerin und die niedersächsische Umweltstaatssekretärin versprachen, ihr Bestes zu tun, um die von der Industrie vorangetriebene nahezu vollständige Deregulierung des Vorschlags zu verhindern. Der Vorschlag wird nun im Umwelt- und im Agrarausschuss des Parlaments und im Rat der Agrarminister diskutiert. Die Organisatoren bedauerten, dass weder die Kommission noch die spanische Ratspräsidentschaft noch die Europäische Volkspartei, die den Bericht im federführenden Umweltausschuss vertritt, bereit waren, Vertreter zu entsenden, um ihr Konzept zu verteidigen und sich der Kritik zu stellen.
Eine Presseerklärung, Präsentationen und den Mitschnitt der Konferenz auf Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch und Polnisch finden Sie auf der Webseite der Konferenz.
Kleine Ursache - große Wirkung
Die Europäische Kommission hat am 5. Juli einen lange erwarteten Gesetzentwurf zur weitgehenden Deregulierung der europäischen Gentechnik-Gesetzgebung für Pflanzen vorgelegt. Sollten Europaparlament und Ministerrat ihn nach der Sommerpause so verabschieden, wäre das nicht nur das Ende des Vorsorgeprinzips in diesem Bereich, sondern auch der Türöffner für eine neue Form industrieller Landwirtschaft in Europa. Die Details des Entwurfes und die Stellungnahmen dazu finden Sie beim Informationsdienst Gentechnik. Hier lesen Sie einen längeren Kommentar von Benny Haerlin.
Das Hinzufügen, Entfernen oder Vertauschen einzelner Basenpaare im Erbgut kann einen gewaltigen Unterschied für das Funktionieren einer Zelle und die Eigenschaften eines ganzen Organismus machen. Es ist ein wenig wie Johann Sebastian Bachs Definition von gekonntem Klavierspiel: Man muss nur zur richtigen Zeit die richtige Taste drücken. So einfach ist das und doch auch so schwer. Darin liegt der Reiz der Gentechnik, aber auch ihr Risiko.
Die Europäische Kommission schlägt nun vor, dass Pflanzen, die an bis zu zwanzig Stellen des Erbguts gentechnisch verändert wurden, dennoch wie herkömmlich gezüchtete Pflanzen zu behandeln sind. An diesen zwanzig Stellen dürfen beliebig viele Basenpaare (Nukleotide) zerstört oder in ihrer Reihenfolge umgekehrt werden, bis zu 20 Basenpaare verändert oder ersetzt werden, beliebig lange benachbarte DNA Sequenzen durch verwandte Sequenzen ersetzt werden und jede andere Veränderung von beliebiger Länge vorgenommen werden, die bereits in irgendeiner mit der Pflanze direkt oder über Zwischenschritte kreuzbaren Pflanze vorkommt.
Diese neuen Gentechnikpflanzen bedürfen keiner individuellen Risikoprüfung und Zulassung mehr, müssten nicht länger rückverfolgbar sein und nicht mehr als GVO gekennzeichnet werden, so der Vorschlag der EU Kommission. Das wäre das Ende der vorsorgenden und transparenten Gentechnikgesetzgebung wie sie seit 1990 in verschiedenen Richtlinien und Verordnungen der EU Gültigkeit hat.
Für diese neue Gentechnik, die (zunächst nur bei Pflanzen) nicht mehr als Gentechnik behandelt werden soll, hat die Kommission den Begriff „neue genomische Techniken“ eingeführt. Gemeint ist damit in erster Linie die auch als „Genschere“ bezeichnete CRISPR-Cas Technologie, mit deren Hilfe an genau definierbaren Stellen des Genoms ein Doppelbruch der DNA erzeugt wird. Bei ihrer zelleigenen Reparatur kann die DNA sodann gezielt verändert werden. Einzelne oder mehrere Basenpaare können umgeschrieben oder entfernt, aber auch längere DNA-Abschnitte stillgelegt oder neu an der Bruchstelle eingesetzt werden. Um eine solche „Editierung“ des Erbgutes vornehmen zu können, wird zunächst mit klassischen Methoden der Gentechnik die bakterielle DNA des CRISPR-Cas Enzyms samt RNA-Suchmechanismus in die Zelle eingebracht und anschließend möglichst wieder entfernt.
Eine neue Geschichte über die Gentechnik
Es handle sich bei dieser „Genom-Editierung“, so die zentrale Begründung für die vorgeschlagene Neubewertung der Kommission, lediglich um „gezielte Mutationen“, die auch auf „natürliche Art“ durch herkömmliche Züchtung entstehen könnten. Damit verbundene Risiken für Umwelt und menschliche Gesundheit seien deshalb grundsätzlich nicht höher als die Produkte konventioneller Züchtung. Zudem seien sie von diesen nicht einmal zuverlässig unterscheidbar. Im Unterschied zu „transgenen“ Organismen, die „artfremde“ DNA aus einem anderen Organismus enthalten, würden bei der „Cisgenese“ nur exakte Kopien von genetischem Material aus verwandten Pflanzen einfügt, das bereits im „Genpool der Züchter“ dieser Pflanzen irgendwo auf der Welt verfügbar ist. Falls die DNA-Kopie nicht exakt die gleiche ist, sondern schon ein wenig „umarrangiert“ wurde, etwa a verschiedenen DNA-Abschnitten, die im „Genpool der Züchter“ vorkommen, handle es sich um „Intragenese“. Auch sie könne behandelt werden, als handle es sich dabei um herkömmliche Züchtung.
Das neue Dogma, das hieraus abgeleitet wird ist, dass von gentechnisch veränderten Pflanzen, die durch „gezielte Mutagenese“ erzeugt wurden und keine „artfremde“ DNA im weitesten Sinne enthalten, keine anderen Gefahren für die Umwelt und menschliche Gesundheit ausgehen können als von herkömmlich gezüchteten.
Was die EU-Kommission hier präsentiert, ist ein neues Narrativ, eine alternative Wahrheit darüber, was Gentechnik bedeutet und wie sie funktioniert. Die Grundbegriffe wurden vor über 20 Jahren zunächst von Wissenschaftlern der Wageningen Universität mit damals mäßigem Erfolg entwickelt. Den Anstoss gaben ethische Diskussionen mit zwei christlichen Parteien, bei denen es u.a. um die Integrität von Organismen ging, die von gentechnischen Veränderungen mit eigenem genetischem Material möglicherweise weniger verletzt werde als von „artfremden". Vorstösse des niederländischen Parlaments, Cisgenetik, Intragenetik und den Züchter-Pool in die europäische Gesetzgebung einzuführen scheiterten damals.
Doch seit CRISPR-Cas die deutlich erlahmte Phantasie der Gentechnik-Branche neu beflügelt, wird dieses Narrativ nun massiv verbreitet: Das ist gar keine richtige Gentechnik sondern fast natürliche Mutagenese. Doch dann stellte der Europäische Gerichtshof im Jahre 2018 in einem Grundsatzurteil fest, dass sämtliche neuen Gentechnikmethoden (CRISPR-Cas, Talen, Zinkfinger-Nukleasen) unter das herrschende Gentechnikrecht der EU fallen. Mangels praktischer Erfahrung und dank neuer technischer Möglichkeiten, könnten die neuen Gentechnikmethoden eventuell sogar riskanter sein als bisherige Methode. Seither arbeitet eine millionenschwere Industrielobby und eine eher bescheidene Abteilung der Generaldirektion Gesundheit bei der EU Kommission daran, das Gesetz zu ändern, auf dessen Grundlage der EuGH urteilte: Wer das Urteil nicht ändern kann, muss das Gesetz umschreiben. Die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA wurde beauftragt, die Risiken der verschiedenen Gentechnik-Kategorien zu vergleichen und ihnen damit höhere wissenschaftliche Weihen zu verleihen.
Wer nach wissenschaftlicher Literatur über Cisgenese, Intragenese oder den „breeders gene pool“ sucht, findet diese Begriffe ausschließlich im Zusammenhang mit der angeblich nicht mehr zeitgemäßen Gentechnik-Zulassungspraxis in Europa. Das Narrativ von riskanten Transgenen und ungefährlichen Cis- und Intragenen, von groben gentechnischen Manipulationen der Vergangenheit und präzisen Mutationen der Zukunft bietet Politiker*innen, Ernährungs- und Landwirtschaftsunternehmen eine Möglichkeit an, den Einsatz für die Deregulierung der Gentechnik nicht als politischen Sinneswandel, sondern als neuere wissenschaftliche Erkenntnis zu präsentieren.
Es gibt viele Stellen in dem Deregulierungsvorschlag, an denen gentechnisch hinlänglich Gebildete und mit der Geschichte der Gentechnikdebatte Vertraute eigentlich nur einen Schluss ziehen können: Hier haben Menschen, die die Anwendung von Gentechnik in der Züchtung seit Langem für ungefährlich halten und die bisherige Gentechnikgesetzgebung der EU für völlig überzogen, sich ein Märchen für Politiker und die breite Öffentlichkeit ausgedacht, das einen zügigen Ausstieg aus dem ganzen „Humbug“ erlaubt. „Genom-editierte“ Pflanzen sind dafür der Einstieg. Die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA arbeitet bereits an der Neubewertung gentechnischer Veränderungen bei Mikroorganismen.
Darf’s etwas komplexer sein?
Allerdings widerspricht dieses Narrativ von den guten und den fremden Genen und von dem, was natürlich ist und was nicht, vielen neueren Einsichten der Molekularbiologie. Dort setzt sich nämlich die Erkenntnis durch, dass Zellen und Organismen einzelne DNA Abschnitte nach Regeln ablesen und kombinieren, die nicht einfach in die DNA selbst „einprogrammiert“ sind.
Die Erkenntnis des Human Genome Project vor 20 Jahren, dass der menschliche Körper über 200.000 verschiedene Eiweiße mit nur ca. 25.000 sogenannten Genen, sprich ablesbaren DNA-Abschnitten, erzeugt, hat unser Bild vom sogenannten Bauplan des Lebens grundlegend verändert. Seither hat die Epigenetik eine Vielzahl von Entdeckungen gemacht, die das naive Bild der DNA als Programm-Code relativieren. Dazu gehören die vielfältigen Funktionen von RNA, aber auch die Rolle jener 99 Prozent der DNA, die nicht den Bauplan von Eiweissen codieren, und deshalb ursprünglich einmal als „junk DNA“ abgetan wurden. Es ist faszinierend: Je weiter die Wissenschaft in diese Wissensgebiete vordringt, desto komplexer wird das Bild. Dafür gibt gerade die CRISPR-Cas-Technologie, die das gezielte „Ausschalten“ einzelner Gene ermöglicht, der Forschung ein enorm mächtiges, neues Instrument an die Hand.
Grob vereinfacht könnte man die DNA vielleicht mit einer Art festen Verdrahtung vergleichen, derer sich eine bisher nur sehr unvollständig verstandene „Software“ der Zelle in unterschiedlichen Zellen und Entwicklungsstadien und bei verschiedenen Umweltherausforderungen bedient. In Unkenntnis und unter Umgehung der natürlichen Regeln und Kontrollmechanismen der Vererbung direkt in die DNA einzugreifen, kann unerwartete Risiken und Nebenwirkungen mit sich bringen. Eine derartige Eingriffstiefe, so die bisherige Grundüberlegung der vorsorgenden Gentechnikgesetzgebung der EU, bedarf besonderer Vorsichtsmaßnahmen und Risikoabschätzungen. Denn unsere Erfahrung mit derartigen Eingriffen und ihren unmittelbaren und mittelbaren, kurz- und längerfristigen Auswirkungen sind nach wie vor begrenzt.
Hier endet leider auch die Erzählung von der ungeheuren Präzision der neuen Technologie. Erst wer versteht, in welche Zusammenhänge sie oder er jeweils direkt oder indirekt eingreift, kann echte Präzision für sich in Anspruch nehmen. Wer dagegen bestenfalls Wahrscheinlichkeiten angeben kann, mit denen bestimmte, noch so präzise Veränderungen einzelner DNA Abschnitte veränderte Eigenschaften hervorbringen, ist von echter Kausalität und verlässlicher Bewertung nicht erwünschter Möglichkeiten noch weit entfernt. Auch ein mit äußerster Präzision geführter Schlag ins Wasser bleibt ein solcher.
Ungereimtheiten
Es gibt eine Reihe von wissenschaftlich-technischen Einwänden gegen das Narrativ der gezielten Mutation und ihrer ungeheuren Präzision. Zu ihnen gehört unter anderem, dass CRISPR-Cas Enzyme zwar sehr genau auf eine bestimmte Abfolge von Basenpaaren angesetzt werden können, nach denen ihre RNA-„Nase“ sucht. Sie kennen eine Stelle ihrer Wahl, an der ein gezielter Doppelstrangbruch der Helix verursacht werden soll. Doch wie viele weitere gleiche oder täuschend ähnliche Sequenzen sich an anderen Stellen des Genoms finden, bleibt offen. Die Literatur zu unbeabsichtigten und unvorhergesehenen Folgen beim Einsatz von CRISPR-Cas zu medizinischen Zwecken ist erdrückend. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die Listen bei Pflanzen geringer wären. Erschreckend ist eher, dass nach solchen unbeabsichtigten Brüchen hier kaum gesucht wird.
Für Furore sorgte beispielsweise kürzlich die Beschreibung eines „Chromothripsis“ genannten Effekts von Doppelstrangbrüchen in Pflanzen, bei dem Teile des betroffenen Chromosoms abreißen, mit massiven Folgen, die jedoch nicht immer leicht erkennbar sind. Dieser Effekt war in Zellen von Säugetieren und Menschen bereits seit längerem bekannt.
Dass CRISPR-Cas Brüche auch in solchen Regionen des Genoms verursacht, die von Natur aus gegen zufällige Mutationen besonders gut geschützt sind, stellt die Behauptung stark in Frage, gezielte Mutationen seien eigentlich nur harmlose Varianten dessen, was in der Natur ständig passiert.
Nicht zuletzt ist der besondere Mechanismus von CRISPR-Cas, nicht nur eine, sondern sämtliche Fundstellen einer bestimmten DNA-Sequenz im Genom gleichzeitig zu verändern, ein Effekt, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei natürlichen Mutationen auszuschließen ist. Er gilt ja auch als besondere Stärke der Technik: Weizen mit seinen vier bis sechs Chromosomensätzen und entsprechend vielen Kopien einzelner Gene, seine allergene Gluten Produktion auszutreiben, könnte so möglich werden.
Hinzu kommt ein Ansatz, durch den George Church, ein Pionier und Enfant terrible der Gentechnik, mit seiner Firma Collosal den tasmanischen Beutelwolf oder das Mammut wieder auferstehen lassen will. Stück für Stück will er eine CRISPR-Veränderung an die nächste reihen, um die 0,4% Unterschied zwischen dem Genom des Mammut und dem des asiatischen Elefanten zu überbrücken. Für weniger ambitionierte Pflanzenzucht-Ziele ist die systematische Aneinanderreihung einzelner „gezielter Mutationen“ nicht unbedingt eine versponnene Mammutaufgabe. Ganze am Bildschirm entworfene DNA-Sequenzen ließen sich so möglicherweise Schritt für Schritt auf einen Organismus übertragen; wenn es der EU-Kommission Freude macht, auch in Einzelschritten von jeweils 20 mal 20 Veränderungen. Sie landen ja dann im breeder‘s pool als weiterer Schritte.
Weil, so schließt messerscharf, nicht sein kann was nicht sein darf.
Der vielleicht besorgniserregendste Vorschlag der EU Kommission liegt in der völlig neuen Herangehensweise an die Risikoabschätzung und –bewertung der neuen Gentechnik. Untersucht werden soll bei der Frage um welche Art von GVO es sich handelt, künftig nicht mehr der tatsächliche Organismus, sondern nur noch das erfinderische Konzept dieses GVO. Die Hersteller teilen der Behörde die beabsichtigten Veränderungen mit und die Prüfer untersuchen nach Aktenlage innerhalb von 30 Tagen ob diese Veränderungen ihrer Meinung nach auch mit herkömmlichen Züchtungstechniken erzeugt werden können bzw. cisgenetischer oder intragenetischer Natur sind.
Eine konkrete Analyse und Würdigung nicht beabsichtigter Veränderungen ist nicht mehr vorgesehen. Das erinnert an den berühmten Betrunkenen, der nach dem verlorenen Schlüsselbund unter der Laterne sucht, weil nur dort Licht ist. Risiken und Nebenwirkungen dagegen, so lehrt uns die Erfahrung, sollten wir gerade da suchen, wo wir sie nicht erwarten.
Apropos Schlüsselbund: Die rätselhafte Zahl von maximal 20 Nukleotiden, die von nun an als „natürliche Mutation“ durchgehen sollen, stammt – so die Vermutung beteiligter Wissenschaftler - ursprünglich aus einer Untersuchung von natürlich vorkommenden genetischen Unterschieden in 80 Pflanzen der gleichen Pflanzenart (Ackerschmalwand, so etwas wie die Labormaus der Pflanzengenetiker) aus dem Jahre 2011. Damals erlaubte es die eingesetzte Testmethode zum heutigen Bedauern der Wissenschaftler nicht, längere Sequenzen ebenso zuverlässig zu erkennen. Die Zahl scheint also in erster Linie der Begrenzung der damaligen Testmethoden zu verdanken zu sein.
Auf welchen Pfad wollen wir uns begeben?
Über all dies ließe sich trefflich streiten, spotten und philosophieren. Doch wir werden möglicherweise im Laufe der kommenden Jahre noch atemberaubende Erschütterungen unserer bisherigen Vorstellungen von Genetik und Epigenetik, von DNA und Mikrobiologie erleben, die über jene der vergangenen Jahrzehnte weit hinausgehen. Denken wir nur an die revolutionären Erkenntnisse, die sich gerade über das Mikrobiom auch in der Öffentlichkeit durchsetzen oder an die Möglichkeiten, mittels sogenannter künstlicher Intelligenz in Minuten statt bisher Jahren die dreidimensionale Faltung von Eiweißen zu berechnen. Die Computer tun dies mit selbstlernenden Programmen, deren Logik auch ihre Erfinder nicht mehr nachvollziehen können. Ob uns dies eher begeistert oder beängstigt, wir sollten uns auf bahnbrechende neue Einsichten einstellen und auch auf möglicherweise disruptive Anwendungsmöglichkeiten in der Landwirtschaft und Ernährung.
Dass fundamentale Veränderungen von Nöten sind, steht angesichts der Schäden, die wir auf diesem Gebiet der Natur derzeit zufügen, außer Frage. Ebenso steht außer Frage, dass wir uns gerade deshalb gentechnische Idiotien wie die herbizidtoleranten Monokulturen von Bayer, Syngenta und Corteva nicht weiter leisten können und auch nicht deren Fortführung mit anderen Mitteln. An erster Stelle muss der Ausstieg aus einer industriellen Landwirtschaft des letzten Jahrhunderts stehen, aus deren Überdüngung und Vergiftung, ineffizienter Überproduktion, Verschwendung und Verdrängung bäuerlicher Existenzen und Produktion von Lebensmitteln von immer geringerer Qualität. Diese agrarökologische Umgestaltung zu verpassen wäre nicht nur riskant, sondern mit Sicherheit eine tödliche Gefahr.
Wo Einigkeit über diese agrarökologische Wende herrscht, sollten wir mit Augenmaß und Verstand, um den Aufbau von gegenseitigem Vertrauen bemüht, über geeignete Technologien, Prioritäten und zeitliche Perspektiven in Forschung und Entwicklung sprechen. Es geht dabei immer um komplexe und vielfältige Systeme, nicht einzelne Produkte, mit denen wir am Besten die unterschiedlichen Herausforderungen von Klimawandel und Artensterben, Bodenfruchtbarkeit und Wasserhaushalten meistern in ihrem jeweiligen regionalen und ökologischen Kontext. Zu reden ist dabei auch über die ökologische, gesundheitliche und soziale Beherrschbarkeit und Wirkung von Technologien und Entwicklungspfaden jenseits der technischen Risiken im engeren Sinne.
Sie lassen sich beim gegenwärtigen Stand des Wissens auf der einen und der enormen Geschwindigkeit technischer Entwicklungen auf der anderen Seite schwerlich auf die Analyse einzelner molekularbiologischer Tatbestände reduzieren. Die Rabulistik und Winkelzüge der Definition von Cisgenese, Intragenese und breeders gene pool widersprechen insofern nicht nur den Anforderungen evidenzbasierter und solider Wissenschaft. Sie lenken auch von den wirklichen Herausforderungen und möglichen Gefahren und Risiken ab.
So spielen die sinkenden Kosten sowohl der CRISPR-Cas Technik als auch der Sequenzierung von Genomen und ihrer digitalen Verarbeitung auch für die Wahrscheinlichkeit von technischen Fehlern und Missbrauch eine wesentliche Rolle. Für diese Produkte gerade in der gegenwärtigen Phase allgemeiner Goldgräberstimmung auf spezifische Risikoabschätzung und geordnete Zulassung, Identifizierbarkeit, Monitoring und Kennzeichnung zu verzichten, widerspricht offensichtlich dem gesunden Menschenverstand. Deregulierung in Zeiten eines explodierenden technologischen Innovationsschubes mit ungewissem Ausgang ist das Gegenteil von Vorsorge und Umsicht. Das sollte jede*r Politiker*in und jedes Mitglied einer öffentlichen Verwaltung begreifen und könnte es sich gegebenenfalls sogar von Elon Musk und anderen Protagonisten der Künstlichen Intelligenz erklären lassen.
Die Neue Saatgut-Ordnung
Zur sozialen Beherrschbarkeit, aber auch zur Optimierung des Innovationspotentials der gesamten Landwirtschaft in Europa und der Welt gehört auch die Frage, wem die neuen, aber auch die alten technologischen Möglichkeiten künftig gehören werden. Die Deregulierung der Gentechnik geht dabei mit der Gier nach „geistigem Eigentum“ an Saatgut und einzelnen genetischen Eigenschaften möglicherweise eine fatale Verbindung ein. Was immer mit Hilfe von CRISPR-Cas und ähnlichen Gentechniken entwickelt wird, fällt nach geltendem Europäischen Patentrecht nicht mehr unter grundsätzliche Verbot der Patentierung von „im wesentlichen biologischen Verfahren zur Produktion von Pflanzen und Tieren“ (herkömmlicher Züchtung etwa) und deren Produkten. CRISPR-Cas wäre also ein Türöffner, um Saatgut bzw. einzelne Eigenschaften zu patentieren und nicht mehr „nur“ unter Sortenschutz zu stellen. Es ist nicht der einzige Weg, den die Patentanwälte von Bayer, Corteva, Syngenta & Co derzeit beschreiten, aber der einfachste.
Der zentrale Unterschied: Mit geschützten Sorten können Züchter weiter neue Sorten entwickeln ohne dass es dafür der Zustimmung des Sorten-Inhabers bedarf. Landwirte können aus diesen Sorten eigenes Saatgut gewinnen und optimieren. Bei patentiertem Saatgut läuft ohne die Zustimmung und Lizenz des Patentinhabers dagegen nichts mehr. Das gilt, und hier kommt die Kennzeichnung und Identifizierbarkeit des von GVOs ins Spiel, auch dann, wenn die patentierte Eigenschaft zufällig in Zucht- oder Pflanzmaterial einkreuzt: Sie bleibt das exklusive Eigentum des Patentinhabers.
Ausgerechnet in Zeiten, in denen die Anpassung und Entwicklung neuer Sorten durch Klimawandel und Artenverlust eine besondere Dringlichkeit bekommt, würde die „Vercrisperung“ der Züchtung einem noch kleineren und exklusiven Kreis von Unternehmen und deren Anwaltskanzleien das Feld überlassen. Den Resten von „open source“, die im Sortenrecht verankert sind, würde so der Garaus gemacht. Für jedes Zuchtunternehmen wäre die Versuchung und bald auch der Konkurrenzdruck groß, neuen Sorten eine „gezielte Mutation“ anzuhängen, um den BäuerInnen den Nachbau und der Konkurrenz die Nutzung des genetischen Materials zu versagen. Der gesamte Saatgut-Markt würde so in relativ kurzer Zeit einer neuen Weltordnung unterworfen. Die Folgen lassen sich heute bereits in Amerika besichtigen, wo kleine und mittelständische Zuchtunternehmen praktisch verschwunden sind. Der Erhalt und die Fortentwicklung des vielleicht wichtigsten Erbes der Menschheit, dessen Vielfalt schon seit Jahrzehnten kleiner und kleiner wird, würde endgültig zur exklusiven Technologie einiger weniger Saatgut-Oligarchen verkommen; den gleichen übrigens die die Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit dieser neuen Gentechnik-Produkte mit dem Argument bekämpfen, sie seien von herkömmlich gezüchteten Varianten praktisch nicht zu unterscheiden. Wenn es um ihre Patente geht, werden sie hierfür mit Sicherheit Mittel und Wege finden.
Praktische Vorsorge
Da Züchtung und Gentechnik an Pflanzen stets an der Keimbahn ansetzt, also sich selbst vermehrende Organismen erzeugen, deren Eigenschaften sich zudem in der Natur auf verwandte Arten auskreuzen und weiterverbreiten können, ist Vorsorge geboten. Wir sollten mögliche Risiken vorab in der Praxis untersuchen und abschätzen. Der Eingriff sollte im Notfall so weit wie möglich rückgängig gemacht werden können, die freigesetzten GVOs zu diesem Zweck eindeutig identifizierbar sein. Dies ist technisch kein Problem, wenn die Hersteller des GVOs kooperieren und wie bisher einen Test als Bestandteil der Zulassungsunterlagen einreichen.
Die Frage, über die jetzt bei der möglichen Deregulierung der Gentechnik aber gestritten werden muss, ist eine andere: Wieviel Respekt haben wir sinnvollerweise vor den sich abzeichnenden neuen Manipulationsmöglichkeiten und dem längst nicht begriffenen großen Ganzen, in das wir mit ihnen eingreifen? Und wie viel Vorsicht ist im Umgang mit der menschlichen Innovationsfähigkeit und daraus entstehenden Machtverhältnissen geboten?
Ist es wirklich sinnvoll, der Gentechnik-Zunft, die bei allem Respekt noch keinen einzigen überzeugenden Beitrag zum ökologischen Umbau und zur Nachhaltigkeit von Ernährung und Landwirtschaft vorzuweisen hat, durch weitgehende Deregulierung der bisherigen Sicherheits- und Transparenzvorschriften kurzfristige Investitionsanreize zu bieten? Sind solche Vorschuss-Lorbeeren gerechtfertigt für eine Branche, deren einziger wirtschaftlicher Erfolg in den letzten 30 Jahren in einem System von herbizidtoleranten und insektengiftigen Pflanzen besteht, das weltweit gewaltige Umwelt- und Gesundheitsschäden verursacht?
Respekt und Ehrlichkeit
Warum belegen die interessierten Kreise und Macher*innen nicht erst einmal bescheiden und unter Einhaltung der geltenden Vorschriften wenigstens einige ihrer vollmundigen Versprechen mit sauber entwickelten Produkten und Konzepten? Was fürchten sie denn? Warum soll auf keinen Fall mehr draufstehen was tatsächlich drin ist? Wer solche Forderungen stellt macht misstrauisch.
Wir sollten die Menschen, die diese Form des Umgangs mit der Natur auf ihren eigenen Feldern, Gärten und Tellern aus welchen Gründen auch immer ablehnen, respektieren, egal ob es sich dabei – wie gegenwärtig – um eine Mehrheit oder eine Minderheit handelt. Deshalb müssen GVOs und ihre Produkte weiterhin klar gekennzeichnet werden.
Nicht zuletzt auch, um dem biologischen Landbau, der den Einsatz von Gentechnik ausschließt, nicht den Todesstoß zu versetzen. Der Vorschlag der EU-Kommission bekräftigt zwar weiterhin das Verbot des Einsatzes, auch der neuen Gentechnik im Ökolandbau. Er überlässt aber die Haftung dafür ausschließlich der Biobranche und die Regelung der nur noch schwer vorstellbaren Koexistenz den Mitgliedstaaten. Und denen bindet sie dabei sogar noch eine Hand auf den Rücken: Die bisher möglichen nationalen oder regionalen Einschränkungen oder gar Verbote für den Anbau von GVOs werden für die nicht mehr rückverfolgbaren neuen GVOs kategorisch ausgeschlossen!
Wer aus diesen Regeln, v.a. aus der Pflicht zur Kennzeichnung ein angebliches „Verbot der Gentechnik“ in Europa macht, sollte sein Verhältnis zum Recht auf Selbstbestimmung und Wahlfreiheit von Produzent*innen und Konsument*innen überdenken. Der Versuch, den Streit um das Thema dadurch zu beenden, dass dafür entscheidende Informationen den sichtlich interessierten Bürgerinnen und Bürgern künftig vorenthalten werden nach dem Motto „die Wissenschaft hat festgestellt, dass Euch das nicht zu interessieren hat“ ist übergriffig.
Welch gewaltigen Unterschied eine einzige falsche Taste zur falschen Zeit machen kann, lieferte übrigens auf der politischen Klaviatur unlängst bei einer Anhörung im Bundestag der FDP Abgeordnete Ingo Bodke, der meinte, die gezielte Mutagenese werde mit Hilfe von CRISPR-Cash herbeigeführt, das er auch weltgewandt als „käsch“ aussprach und damit unfreiwillig eine große Wahrheit gelassen aussprach.
Noch kann der Vorschlag der EU Kommission bei den Gesetzgebern im Europaparlament und im Ministerrat scheitern. Politiker*innen sind, anders als die Kommission, gerade in Zeiten bevorstehender Wahlen nicht allein dem Druck der Industrie und der von ihr in diesem Falle fast fehlerfrei orchestrierten Lobby interessierter Wissenschaftler und Techniker ausgesetzt. Sie müssen sich auch auf die Haltung des eigenen Wahlvolkes einstellen.
Hiervon wird es nun abhängen, ob der Mittwoch, der 5. Juli 2023 als der bedauerliche Anfang vom Ende der Vorsorge und des Respekts bei der Grundlage unserer Ernährung in die Geschichte der EU eingehen wird oder nur als der Moment, an dem die EU Kommission mal wieder einen nicht so richtig durchdachten Vorschlag gemacht hat.
Benedikt Haerlin, 6. Juli 2023
EU Umweltministerien gegen Deregulierung
Die geplante Deregulierung von Produkten einiger neuer Gentechnikmethoden (CRISPR-Cas u.a.), die von der EU Kommission für Anfang Juni angekündigt wurde, stößt jetzt auch im Ministerrat der EU auf Gegenwind. Während die EU Kommission den Vorschlag dem Agrarministerrat unterbreiten will, wurde auf dem Umweltministerrat am 16. März massive Kritik am Vorgehen und an den wissenschaftlichen Grundannahmen der EU-Kommission laut. Österreichs Klima- und Umweltministerin Leonora Gewessler (links) hatte in einem Memo an die Ratsmitglieder die bisherige wissenschaftliche Vorbereitung und die Beteiligung der Mitgliedsstaaten scharf kritisiert. "Die Folgenabschätzung erfolgte hauptsächlich anhand eines Fragebogens, der weitgehend auf Erwartungen, Annahmen und suggestiven Szenarien beruhte anstatt auf Daten und wissenschaftlich fundierten Methoden," heißt es da. Sechs Mitgliedsstaaten unterstützten den Vorstoss, Deutschland äusserte sich verhalten kritisch, vier Staaten stellten sich hinter die EU Kommission.
"Wir fordern die Europäische Kommission daher auf, eine umfassende Umwelt- und Gesundheitsrisikoprüfung vorzusehen, wie sie für GVOs existiert, und ihren Gesetzesvorschlag nicht auf ein vages und noch nicht ausreichend ausgearbeitetes Konzept zu stützen," fährt das österreichische Umweltministerium in dem Papier fort. In dem Papier wird der Ratspräsident nun zur Einrichtung einer ad hoc Arbeitsgruppe aus zuständigen Umwelt-, Gesundheits- und Landwirtschaftsbehörden der Länder aufgefordert.
Die Vertreterin Deutschlands begrüßte eine breite Debatte und betonte, dass ihr ein gesellschaftlich akzeptierter Umgang mit den neuen Techniken samt Vorsorge, Wahlfreiheit und Koexistenz verschiedener Anbausysteme wichtig sei, ohne sich direkt hinter die Forderungen Österreichs zu stellen.
„Die österreichische Haltung ist klar: Auch für die neuen gentechnischen Verfahren müssen die drei Grundpfeiler Vorsorgeprinzip, wissenschaftliche Risikobewertung und Kennzeichnungspflicht gelten,“, schreibt Umweltministerin Leonore Gewessler in einer Pressemitteilung. „Neue Verfahren zur Gentechnik durch die Hintertür sind für uns nicht akzeptabel. Die Konsument:innen haben das Recht zu wissen, was auf ihren Tellern landet“.
Eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten meldete sich in der Debatte, die nur kurz unter "Sonstiges" geführt wurde, nicht zu Wort. Der Umweltkommissar Virginijus Sinkeviĉius verteidigte das Vorgehen und die Folgenabschätzung seiner Kollegin, der Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides.
Hier finden Sie das Papier aus Österreich, hier alle Dokumente zu der Ratssitzung der Umweltminister*innen
Hier finden Sie einen Video-Zusammenschnitt der Diskussion
Hier ein ausführlicher Bericht des Informationsdienst Gentechnik
Soup & Talk - mal wieder grosses Kino!
Am 21.1. nach der „Wir haben es satt“ Demo aufwärmen, Süppchen essen, Leute treffen und bei „Soup & Talk“ im 5-Minuten-Takt drei Stunden lang erleben was für tolle Menschen mit ihren Initiativen und Projekten unsere Ernährung und Landwirtschaft umbauen, im Großen und im Kleinen, auf dem Land und in der Stadt, in Deutschland und der ganzen Welt. Nach zwei dürren online-Jahren war die Begeisterung so gross, dass das obere Stockwerk der Heinrich Böll Stiftung für weitere Besucher*innen aus feuerpolizeilichen Gründen gesperrt werden musste. Die Stimmung war wunderbar und die Vorträge hinreissend. Hier nachzuschauen
420.000 fordern Wahlfreiheit und Vorsorge
Kommen gentechnisch veränderte Organismen (GVO) bald ohne Kennzeichnung und Risikoprüfung auf Europas Äcker und Teller? Die EU-Kommission will die meisten mit dem CRISPR-Cas Verfahren erzeugten GVO vom bisherigen Zulassungsverfahren ausnehmen. Dagegen wendet sich eine Europäische Petition, die am 1. Dezember der Staatssekretärin des Umweltministerium, Dr. Bettina Hoffmann, vor dem Kanzleramt übergeben wurde. SOS hatte zusammen mit vielen weiteren Organisationen gesammelt und die Petition heute übergeben. Hier die Pressemitteilung dazu.
Eine lange Geschichte
Diese Geschichte beginnt mit einem Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs (EUGh), der im Jahre 2018 befand, dass auch neue Gentechnikverfahren wie CRISPR-Cas und deren Produkte ausnahmslos unter das EU-Gentechnikrecht fallen und einer Zulassung, Risikobewertung und Kennzeichnung bedürfen. Dass mit ihnen die DNA von Organismen an mehr oder weniger genau definierbaren Stellen des Genoms gezielt aufgebrochen und umgeschrieben werden kann, unterscheidet diese neuen, sogenannten Genomeditierungsverfahren von den ursprünglichen Methoden der Übertragung fremder DNA mit Hilfe der „Genkanone“ oder eines tumorbildenden Bakteriums. Diese brachialen Methoden spielen allerdings auch beim Einschleusen der neuen CRISPR-Cas Technologien in die Zelle weiterhin eine wichtige Rolle.
Das hatten Gentechnikbetreiber und ihre Lobby zum Anlass genommen, von „gezielten Mutationen“ zu sprechen, die von natürlichen Mutationen nicht zu unterscheiden seien. Solange dabei nur einzelne Basenpaare der DNA oder zumindest nur ganz kurze Abschnitte verändert würden, handele es sich, so die Erzählung, gar nicht um Gentechnik. Nachdem der Gerichtshof dieser Kasuistik nicht folgte, bleibt für die Deregulierung nur noch ein Weg: Das Gesetz zu ändern, das die Richter letztinstanzlich ausgelegt hatten. Darum geht es jetzt also.
Die EU Kommission empfiehlt, weite Bereiche der Gentechnik einfach nicht mehr Gentechnik zu nennen. Neben dem Konzept der “gezielten Mutation“ will sie zu diesem Zweck im Unterschied zur „Transgenese“ den Begriff der „Cisgenese“ einführen, bei der nur DNA von Organismen übertragen wird, mit denen der Zielorganismus auch natürlicherweise DNA austauschen könnte. Eine wissenschaftlich abenteuerliche Konstruktion, die eher der Rassenlehre als der modernen Mikrobiologie zu entstammen scheint. Diese „neuen genomischen Techniken“, so die Logik, seien keine Gentechnik und hätten ein gänzlich anderes „Risikoprofil“.
Den Gesetzesvorschlag hat die Kommission für Mitte 2023 angekündigt.
Gentechnikfreies Europa im EU Parlament
Am 17. November trafen sich 250 Vertreter*innen von gentechnikfreien Regionen, der gentechnikfreien Wertschöpfungskette vom Hof bis zum Supermarkt, kritischer Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft im Europäischen Parlament. Zur Debatte stand der Vorschlag der EU Kommission, das Gentechnikrecht für bestimmte Arten von GVOs, insbesondere CRISPR-Cas-Mutationen, zu deregulieren. Wenn deren Produkte künftig nicht mehr gekennzeichnet werden müssen, wird es eng für die Gentechnikfreiheit in konventioneller und biologischer Landwirtschaft und riskant für Umwelt und Gesundheit. SOS organisierte die Veranstaltung zusammen mit dem Biodachverband IFOAM live und online Hier gehts zur Dokumentation der Veranstaltung auf Deutsch, Englisch und Französisch.
300.000 Unterschriften gegen Gene Drives
Knapp 300.000 EU Bürger:innen fordern in einer Petition die Umweltminister:innen der EU dazu auf, sich bei dem im Dezember geplanten Treffen der UN-Konvention für Artenvielfalt für ein globales Gene Drive Moratorium einzusetzen. Am 31. Mai fand die Übergabe der Unterschriften an die deutsche Umweltministerin Steffi Lemke in Berlin statt.
Die Ministerin bezog eindeutig Stellung und versprach, sich "natürlich" bei der EU-Umweltminister:innen-Konferenz für das Vorsorgeprinzip in Bezug auf Gene Drives stark zu machen. Sie ermutigte die Vertreter:innen der Stop Gene Drives Kampagne, weiter an dem Thema zu arbeiten. Die Debatte um den Einsatz von Gene Drives werde nicht im Winter bei der UN beendet sein.
Mehr Details in unserer Pressemitteilung, mehr Bilder auf Twitter
Deregulierung der EU Gentechnikgesetze?
Der Vorstoss kommt nicht unerwartet: Am 24. September hat die Europäische Kommission offiziell vorgeschlagen, das Gentechnikrecht der EU grundlegend zu verändern: Bestimmte gentechnisch veränderte Organismen (GVO) sollen von der bisherigen Risikoprüfung und Kennzeichnungspflicht ausgenommen werden. Sie bekommen zu diesem Zweck neue Namen wie "neue Genomtechniken", „gezielte Mutagenese“ und „Cisgenese“ und bedürften keiner Gentechnik-Zulassung mehr. Vor drei Jahren hatte der Europäische Gerichtshof auch diese Produkte neuer Gentechnikverfahren wie CRISPR/Cas unmissverständlich als GVO eingestuft. Daraus zieht die EU-Kommission den Schluss, dann eben das Gesetz, nach dem das Gericht entschied, zu ändern. Die jetzt vorgeschlagenen Ausnahmen sind dabei nur der Anfang. Ein guter Grund, bis zum 22. Oktober ersten Einspruch zu erheben gegen diesen Plan. Bitte beteiligen Sie sich!
„Es gibt gute Gründe, dreissig Jahre nach ihrer Verabschiedung über eine Überprüfung der Zulassungsverfahren und Risikobewertungen von GVOs nachzudenken,“ kommentierte Benny Haerlin von „Save Our Seeds“, „der Vorstoss der uns jetzt vorliegt ist allerdings weder wissenschaftlich durchdacht noch offen für Verbesserungen, sondern scheint ausschließlich dem Ziel zu dienen, Sicherheitsstandards zu senken und die Grundlagen der Sicherheitsphilosophie der Gentechnik-Richtlinie auszuhebeln. Statt umsichtiger Anpassung an die technische Entwicklung, geht es hier wohl nur um Anpassung an die Interessen der Gentech-Industrie.“ Indizien dafür sieht er in der einseitigen Interpretation von Aussagen der Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA durch die Kommission und in einer wissenschaftlich nicht nachvollziehbaren Kasuistik, nach der die beabsichtigten Effekte bestimmter Genmanipulationen deren "Risikopfil" im Vergleich zu anderen Manipulationen substantiell schmälern.
Vereinfacht gesagt geht es etwa darum, dass in der Tat Mutationen einzelner Basenpaare in der DNA von Organismen in der Natur ständig vorkommen. Diese gezielt mit Hilfe eines eigens dafür geschaffenen und mit klassischen Gentech-Methoden in die Zelle eingepflanzten Such- und Schneidesystems (CRISPR/Cas) herbeizuführen und diesen Vorgang im Prinzip beliebig oft zu wiederholen, um die DNA nach dem eigenen Bauplan „umzuschreiben“, ist dagegen ganz offensichtlich kein natürlicher Vorgang mehr. Das Verfahren hat vielmehr ein enormes Potential für schnelle und weitgehende genetische Veränderungen mit erheblichen Auswirkungen. Als Innovationspotential wird dies von Wissenschaftler*innen, Biotechnolog*innen und Gentechnikunternehmen auch gerne betont.
Dass damit auch neue Risiken einhergehen, liegt auf der Hand. Dies gilt sowohl für beabsichtigte Effekte wie etwa die Produktion neuer Eiweisse und Inhaltsstoffe, toxische Effekte auf „Frassfeinde“ oder die Anpassung an neue ökologische Bedingungen (z.B. Hitze, Flut oder Dürre), die Konkurrenzvorteile schafft. Es gilt allerdings auch für eine breite Palette nicht beabsichtigter Effekte. Das beginnt damit, dass die gezielten Mutationen auch an anderen Stellen des Genoms stattfinden und dort unbemerkte Veränderungen verursachen können oder doch nicht ganz so gezielt steuerbar dafür aber auf andere Organismen übertragbar sind. Und es endet damit, dass die Einführung bestimmter Eigenschaften in ein Ökosystem gänzlich unvorhergesehene Konsequenzen in dem komplexen Zusammenspiel von Pflanzen, Mikroorganismen und Tieren haben kann. Für all diese Effekte gibt es wissenschaftlich gut dokumentierte Beispiele, die eine Risikoanalyse von Fall zu Fall und Schritt für Schritt angeraten erscheinen lassen. Dass bestimmte Risiken nur dann bestehen, wenn DNA aus einem fremden Organismus übertragen wird oder erst ab einer definierbaren Länge des veränderten DNA-Abschnittes ist dagegen nicht zu belegen.
Ein besonderer Vorschlag der EU-Kommission klingt auf den ersten Blick sehr sinnvoll: Bei künftigen Bewertungen sollten nicht nur die Risiken, sondern auch die Chancen für Nachhaltigkeit und Umwelt bewertet werden. Bei näherer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, dass dies nur auf bestimmte Technologien, nicht aber auf mögliche Alternativen bezogen werden soll und es im Wesentlichen ausreichen soll, mögliche Umweltvorteile anzuführen, ohne deren Realisierbarkeit, den Kontext und ein Vergleichbarkeit ermöglichendes Bewertungssystem geschehen soll. Nicht realisierte Versprechen etwa zur Reduzierung von Pestiziden (das Gegenteil war nachweisbar der Effekt) oder des Anbaus unter erschwerten Bedingungen pflastern seit über drei Jahrzehnten den Weg der Gentechnik in der Landwirtschaft, die bisher praktisch keines davon erfüllte. Es macht den an sich also begrüßenswerten Ansatz der Abschätzung von positiven wie negativen soziökonomischen und ökologischen Auswirkungen jenseits der klassischen Risikobewertung von vornherein unglaubwürdig, wenn er lediglich zur beschleunigten Einführung einzelner Technologien entwickelt und eingesetzt werden soll.
Der Vorschlag der Kommission kann als Aufschlag für die heisse Phase einer von Agarchemie-Konzernen und Technologie-Interessensgruppen seit Jahren vorbereiteten, neuen Auseinandersetzung um den Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft und Umwelt und in Lebensmitteln verstanden werden. Sie wird sich möglicherweise über Jahre hinziehen. Bleibt zu hoffen, dass der bisher in diesem Bereich in Europa erfolgreich realisierte Vorsorge-Gedanke und: Einspruch Euer Ehren!
IUCN: Die Natur gentechnisch verändern?
10.09.2021, Marseille – IUCN beschließt 3-jährigen Diskussionsprozess zu Gene Drives
Hat Gentechnik einen Platz im Naturschutz? Die gentechnische Veränderung wildlebender Arten wird seit der Entdeckung von Gentechnikverfahren wie CRISPR/Cas als Möglichkeit diskutiert, um gefährdete Arten an den Klimawandel anzupassen oder invasive Arten zu bekämpfen. Am Freitag, den 10.09.2021, stimmte die Weltnaturschutzunion IUCN bei ihrer Mitgliederversammlung dafür, einen 3-jährigen Diskussionsprozess zu dieser Frage einzuleiten.
Mit der Verabschiedung der Resolution 075 auf dem IUCN Weltkongress in Marseille erkannten die Mitglieder der IUCN an, dass es große Daten- und Wissenslücken sowie ungelöste ethische, soziale, kulturelle und ökologische Fragen im Zusammenhang mit der Nutzung von Technologien gibt, die derzeit zur gentechnischen Veränderung wild lebender Arten entwickelt werden. Die Resolution 075 legt fest, dass diese Ungewissheiten eine Anwendung des Vorsorgeprinzips erfordern und bei der Positionierung der IUCN zu diesem Thema berücksichtigt werden müssen. In diesem Zusammenhang kamen die IUCN-Mitglieder auch überein, den Perspektiven, dem Wissen und den Rechten indigener Völker und lokaler Gemeinschaften bei ihren Beratungen über diese Technologien in den kommenden drei Jahren einen hohen Stellenwert einzuräumen.
Auf Basis der in diesem Verständigungsprozess zu sammelnden rechtlichen, ethischen, sozialen, kulturellen und ökologischen Fragen soll dann beim folgenden Weltnaturschutzkongress im Jahr 2024 eine Position zur Nutzung der synthetischen Biologie im Naturschutz abgestimmt werden. Eine solche Positionierung wäre nicht nur richtungsweisend für die fast 1000 Mitgliedsorganisationen der IUCN, sondern hätte auch eine erhebliche politische Wirkung auf die Debatte um die Regulierung und Risikobewertung neuer gentechnischer Verfahren wie Gene Drives, die unter dem Überbegriff 'Synthetische Biologie' im Rahmen der UN-Biodiversitätskonvention (CBD) geführt wird.
Mareike Imken, Koordinatorin der europäischen Stop Gene Drive Kampagne, begrüßt das Bekenntnis der IUCN zum Vorsorgeprinzip und ihre Absicht, unter ihren Mitgliedern einen solchen Verständigungsprozess einzuleiten:
"Ein breiter und inklusiver Diskussionsprozess der IUCN wird entscheidend dafür sein, das Bewusstsein der IUCN-Mitglieder dafür zu schärfen, dass der Eingriff in die natürlichen Evolutionsregeln durch die Anwendung der Gene-Drive-Technologie eine neue Dimension des Eingriffs in die natürliche Welt darstellt und deren irreversible Veränderung mit sich bringt."
Die Verhandlungen um diese umstrittene Resolution waren geprägt von zwei Polen: zivilgesellschaftliche Gruppen, die die IUCN aufforderten, die Freisetzung von Organismen der synthetischen Biologie nicht zu unterstützen versus Befürworter der Gene-Drive-Technologie, die sich dafür einsetzten, dass synthetische Biologie, einschließlich der Gene-Drive-Technologie, als Instrument für den Naturschutz akzeptiert wird.
Zur Pressemitteilung vom 12.09.2021 auf Englisch.
Hier zur gemeinsamen deutschen Pressemitteilung mit dem DNR vom 4.09.2021 .
Kanzler*innen-Check zur neuen Gentechnik
"Sehr geehrte Frau Baerbock," und natürlich auch die Herren Laschet und Scholz, unterstützen Sie unseren Aufruf "Die Genschere kontrollieren"? Soll unter ihrer Kanzlerschaft die neue Gentechnik dereguliert werden? Jetzt liegen uns die Antworten auf unseren offenen Brief aus dem Mai vor. Annalena Baerbock will sich dafür einsetzen die Gentech-Zulassungsverfahren nicht aufzuweichen, Armin Laschet dagegen läßt seine Geschäftsstelle schreiben, sie wolle die Chancen der neuen Technik nutzen und begrüsse den Deregulierungsvorstoss der EU-Kommission. Olaf Scholz steht fest auf dem Boden des Vorsorgeprinzips und will auch neue Gentechniken prüfen und kennzeichnen.
"Save Our Seeds" hatte zusammen mit sieben anderen gentechnik-kritischen Organisationen besorgt über den umstrittenen Bericht der EU-Kommission zum Einsatz Neuer Gentechnik bei Pflanzen und Tieren bei den Kanzler*innenkandidaten nachgefragt wie sie es mit der neuen Gentechnik halten wollen.
Die Organisationen weisen darauf hin, dass es nach wissenschaftlichen Kriterien nicht möglich ist, bestimmte Anwendungen der Neuen Gentechnik pauschal für sicher zu erklären. Wie groß die Risiken bestimmter Organismen für Mensch und Umwelt tatsächlich sind, kann erst nach einer eingehenden Prüfung entschieden werden und nicht vorab, wie der Bericht der EU-Kommission nahelegt. Dabei verweisen sie auf eine detaillierte Analyse von testbiotech.
Mit CRISPR-Cas, so warnen die Organisationen, könnten nicht nur die bisher bekannten und regulierten Risiken der Gentechnik, sondern möglicherweise auch neue Risiken einhergehen. „Es kommt nicht nur darauf an, offensichtlich gefährliche Anwendungen der Neuen Gentechnik wie Gene Drives aus der Umwelt zu verbannen. Vielmehr müssen wir auch verhindern, dass jetzt scheinbar weniger gefährliche Formen der Gentechnik zu einer allgegenwärtigen Bedrohung auf den Äckern werden“, warnt Benny Haerlin von Save our Seeds.
Das Fazit der Umfrage: Bei Schwarz-Grün oder auch Grün-Schwarz müssen wir wahrscheinlich um das Stehvermögen der Grünen bangen. Denn die Positionierungen klingen eindeutig gegensätzlich. Grün-Rot-Rot wäre wohl die sicherere Option in dieser Frage. Sobal die FDP ins Spiel kommt, wird es ohnehin kritisch. Ob dem wirklich so ist, erfragen wir jetzt durch eine Umfrage bei FDP, Linken und der CSU, deren Bayernplan 2017 noch kategorisch für ein gentechnikfreies Bayern stand. Schaumama wie der Plan dort 2021 aussieht.
EU-Parlament: Gene Drives nicht freisetzen!
Parlamentsbericht zur EU Biodiversitätsstrategie für 2030 konkretisiert bisherigen Appel nach globalem Gene Drive Moratorium.
Das Europäische Parlament bekräftigte in seiner Plenarabstimmung am 08.06.2021 seine vorsorgeorientierte Haltung gegenüber dem Einsatz eines neuen Gentechnikverfahren namens Gene Drive. In ihrem Bericht zur EU-Biodiversitätsstrategie für 2030, fordern die Parlamentarier*innen, dass „im Einklang mit dem Vorsorgeprinzip keine Freisetzungen von gentechnisch veränderten Gene Drive Organismen erlaubt werden sollten, auch nicht zu Naturschutzzwecken.“
27 zivilgesellschaftliche und wissenschaftliche Organisationen aus der gesamten EU hatten vor der Abstimmung einen Brief an die Parlamentarier*innen geschickt, um den Passus zu unterstützen. Er enthalte „vernünftige Vorschläge dafür, wie die frühere Position des Europäischen Parlaments in der Entschließung zur 15. Tagung der Konferenz der Vertragsparteien (COP15) des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (2019/2824(RSP)) umgesetzt werden kann“.
In dieser früheren Position, die im Januar 2020 verabschiedet wurde, hatte das Europäische Parlament die EU-Kommission und die EU-Mitgliedstaaten dazu aufgefordert, „auf der COP15 ein globales Moratorium für Freisetzungen von Gene Drive-Organismen in die Natur, einschließlich Feldversuchen, zu fordern, um eine verfrühte Freisetzung dieser neuen Technologien zu verhindern und das Vorsorgeprinzip zu wahren, das sowohl im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union als auch in der CBD verankert ist.“
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EU soll neue Gentechnik strikt regulieren
Zusammen mit 93 Organisationen fordert "Save Our Seeds" von der Bundesregierung, sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass alle Produkte neuer Gentechnikverfahren wie Crispr/Cas weiter auf Risiken geprüft und gekennzeichnet werden. Anlass ist ein Papier der EU-Kommission zur neuen Gentechnik in der Landwirtschaft, das am 30. April eine Änderung der Gentechnikgesetzgebung vorgeschlagen hat.
Seit Jahren lobbyieren Industrie und Gentechnik-Befürworter*innen dafür, neue Gentechnikverfahren wie CRISPR/Cas von der Gentechnik-Gesetzgebung auszunehmen. Sie wollen damit die derzeitige Definition von Gentechnik aufweichen. Das gefährdet die Wahlfreiheit und die Sicherheit von Mensch und Umwelt.
„Es steht viel auf dem Spiel. Wenn die neue Gentechnik nicht wie bisher reguliert wird, ist die Freiheit bedroht, gentechnikfreie Lebensmittel zu erzeugen und zu wählen. Der überfällige Umbau zu einer nachhaltigen, bäuerlich-ökologischen Landwirtschaft würde damit massiv gefährdet“ kommentiert Mareike Imken von Save Our Seeds. „Hinzu kommt: Neue Anwendungen wie die Gene-Drive-Technologie nehmen auch wildlebende Arten in den Fokus der gentechnischen Veränderung. Weitreichende negative Folgen für die Artenvielfalt sind nicht auszuschließen“, ergänzt Mareike Imken
Die Organisationen fordern deshalb, dass auch für neue Gentechnik das Vorsorgeprinzip weiterhin gilt und die Wahl- und Gentechnikfreiheit durch Kennzeichnung und Transparenz, Zulassung und Rückverfolgbarkeit gesichert bleibt.
Das gemeinsame Positionspapier „Gentechnik auch in Zukunft strikt regulieren“ finden Sie hier zum Download.
Erste gesetzliche Regelung von Gene Drives
Erarbeitung spezifischer Sicherheitsauflagen steht noch aus
Am 1. März 2021 traten Änderungen an der Gentechniksicherheitsverordnung (GenTSV) aus dem Jahr 2019 in Kraft, der zufolge Gene Drive Organismen zunächst grundsätzlich in die Sicherheitsstufe 3 von 4 eingestuft werden müssen. Das hat zur Folge, dass vor Beginn jedes Laborexperimentes eine Genehmigung bei der zuständigen Landesbehörde eingeholt werden muss. Ein erster Erfolg der Stop Gene Drive Kampagne.
„Die Einführung einer Genehmigungspflicht für Experimente mit hochinvasiven gentechnisch veränderten Gene Drive Organismen ist ein wichtiger erster Schritt. Dieser ist dem Eingreifen des Bundesrats nach Intervention von Umwelt- und Landwirtschaftsverbänden zu verdanken. Die Möglichkeit einer Einstufung in Sicherheitsstufen 1 und 2 nach einer Einzelfallbewertung durch die ZKBS halte ich jedoch für gefährlich“ so Mareike Imken, Koordinatorin der europäischen Stop Gene Drive Kampagne.
Das liege darin begründet, dass die Gentechniksicherheitsverordnung weiterhin nicht auf die von Gene Drive Organismen ausgehenden Gefahren für Artenvielfalt und Umwelt durch die selbstständige und invasive Ausbreitung von gentechnisch veränderten Gene Drive Organismen ausgelegt sei.
„Bereits das Entkommen einzelner Versuchstiere, etwa von Gene Drive Fliegen oder Mücken aus einem Forschungslabor, könnte erheblichen Schaden in der Umwelt verursachen und theoretisch zur Ausrottung wildlebender Populationen oder der gesamten Art führen. Deshalb sollten dringend spezifische Sicherheitsauflagen für Laborexperimente mit Gene Drive Organismen entwickelt werden, wie es die Erfinder dieser Gentechnologie und der Bundesrat fordern. Außerdem muss die seit Jahren vakante Sachverständigenstelle zu Naturschutzfragen innerhalb der ZKBS nun schnell nachbesetzt werden. Eine Sicherheitseinstufung und Risikobewertung von Gene Drive Organismen ohne die Beratung durch eine Naturschutzexpertin darf es nicht mehr geben.“, so Imken.
Mehrheiten gegen Gene Drive Freisetzung
Sollte die Menschheit Gene Drive Organismen in die Natur freisetzen? Die Antwort einer deutlichen Mehrheit von Bürger*innen in acht europäischen Ländern lautet: "Nein, die Risiken sind zu hoch". Das ist das Resultat der ersten länderübergreifenden Meinungsumfrage zum Thema Gene Drives, die Save Our Seeds mit verschiedenen Partnern in der EU am 27.1.2021 veröffentlichte. Je nach Land lehnen zwischen 46 und 70 Prozent Gene Drive Freisetzungen ab, 7 bis 16 Prozent befürworten sie und 14 bis 27 Prozent zeigten sich unentschieden.
Die Umfrage unter fast 9.000 Personen ist repräsentativ für 280 Millionen EU-Bürger*innen. Sie wurde von neun Nichtregierungsorganisationen in Auftrag gegeben, die eine informierte und umfassende öffentliche Debatte sowie ein weltweites Moratorium für die Freisetzung dieser neuen Art von gentechnisch veränderten Organismen fordern. Sie zeigt auch, wie groß der Informations- und Diskussionsbedarf zu dem Thema ist: Ein großer Teil der Befragten ist noch unentschieden (14 - 27 Prozent) oder antwortete "weiß nicht" (1 - 24 Prozent). Weitere Informationen zum Thema Gene Drives und alle Umfragedaten finden Sie auf unserer Gene Drive Website.
EFSA: Gene Drive Risiken nicht abzuschätzen
Die Europäische Agentur für Lebensmittelsicherheit (EFSA) nahm am 12.11.2020 zu der Frage Stellung, ob die aktuellen EU-Leitlinien zur Risikobewertung von gentechnisch veränderten Insekten auch zur Bewertung von Gene Drive Insekten ausreichen. Dazu Mareike Imken, von Save Our Seeds: "EFSAs Einschätzung, dass die bestehenden Richtlinien für eine Umweltverträglichkeitsprüfung für Gene Drive Organismen nicht ausreichen, bestätigt unsere Analyse: Die neuartigen Eigenschaften von Gene Drives machen es äußerst schwierig, wenn nicht gar unmöglich, das Verhalten dieser gentechnisch veränderten Organismen zu modellieren, vorherzusagen und zu überwachen."
Weiter führte sie aus:
„Die EFSA verpasst es allerdings, in ihrem Bericht eine zentrale Herausforderung für die Risikobewertung und Überwachung von gentechnisch veränderten Gene Drive Organismen, sogenannte Folgegenerationen-Effekte (next-generation-efffects), zu nennen. Grund dafür sind womöglich die von ihnen gewählten Vergleichsorganismen. Diese weisen das bei Gene Drives zentrale, neue Merkmal der unkontrollierbaren, generationenübergreifenden Auskreuzung von gentechnisch veränderten Genen in Wildpopulationen nicht auf.
Folgegenerationen-Effekte wären unbeabsichtigte Veränderungen der biologischen Merkmale der Nachkommen von Gene Drive Organismen, die wahrscheinlich durch den sich wiederholenden und unkontrollierbaren Prozess der selbstständig fortgeführten gentechnischen Veränderung ausgelöst werden, den Gene Drives in der Natur in Gang setzen. Wenn der sich wiederholende Prozess der gentechnischen Veränderung räumlich und zeitlichen nicht kontrolliert werden kann - wie dies bei gentechnisch veränderten Gene Drive Organismen der Fall ist - können seine Auswirkungen durch Risikoabschätzung nicht vorhergesagt werden.
Die wahrscheinliche Unmöglichkeit, die Auswirkungen auf folgende Generation zu modellieren und vorherzusagen - wie bereits bei der Nachkommenschaft gentechnisch veränderter Pflanzen beobachtet wurde - erfordert die Einführung von Abbruchkriterien für die Risikoabschätzung. Sie würden dann gelten, wenn aufgrund von Unsicherheit und Wissensgrenzen keine Vorhersagen gemacht werden können. In diesem Fall müsste die Risikoabschätzung unterbrochen werden und eine Genehmigung könnte nicht erteilt werden.
Abgesehen davon sollten wir nicht vergessen, dass die Entscheidungsfindung über diese Technologie von mehr als nur der Risikobewertung abhängen sollte: Es besteht ein dringender Bedarf nach einer breiteren politischen Debatte und nach Prozessen für eine partizipative, inklusive und demokratische gesellschaftliche Entscheidungsfindung über die Erwünschtheit, die Kosten und den Nutzen dieser Technologie im Vergleich zu alternativen Lösungen sowie ihre Vereinbarkeit mit gesellschaftlichen Werten und ethischen Normen, die einer politische Entscheidungsfindung über die Gene Drive Technologie zugrunde liegen sollten."
Zur EFSA Stellungnahme auf Englisch
Zur SOS Pressemitteilung auf Deutsch
Zum SOS - Pressestatement auf Englisch
Mehr zum Konzept von Abbruchkriterien für die Risikobewertung von GVO:
- Testbiotech: Kettenreaktion im Erbgut kann nicht wirksam kontrolliert werden. EFSA verschleiert Risiken von Gene Drive Organismen.
- Testbiotech: EFSA diskutiert über Risikobewertung von Gene Drives. Testbiotech fordert die Anwendung von 'Cut-Off-Kriterien'
- Publikation auf Englisch: Then C. (2020) Limits of Knowledge and Tipping Points in the Risk Assessment of Gene Drive Organisms. In: von Gleich A., Schröder W. (eds) Gene Drives at Tipping Points. Springer, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-030-38934-5_8
Mensch und Natur mit Ausrottung schützen?
Zusammen mit der Heinrich Böll Stiftung organisierte Save Our Seeds eine internationale Online-Diskussion über die internationale Regulierung der Gene Drive Technologie am Beispiel der Malariabekämpfung. Hier können Sie nachsehen wie die Technologie funktioniert, wer sie entwickelt, finanziert und ihre Anwendung vorantreibt, welche Risiken sie birgt, wie in betroffenen Ländern darüber diskutiert und warum bei der UN Biodiversitätskonvention um ein globales Moratorium auf ihre Nutzung gerungen wird. Hier ansehen und weiterlesen...
Weiterführende Texte und Materialien auf Deutsch & Englisch
78 Verbände gegen Gene Drives
In einem offenen Brief rufen 78 Umwelt-, Agrar-, Tierschutz- und Entwicklungsorganisationen aus ganz Europa die EU-Kommission dazu auf, die Freisetzung sogenannter Gene Drive Organismen in der EU und international zu ächten. Mit Gene Drives können ganze Tierpopulationen in der Natur ausgerottet und umprogrammiert werden.
Die unterzeichnenden Organisationen, unter ihnen der Deutsche Naturschutzring (DNR), der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Save Our Seeds und die Aurelia Stiftung fordern von der EU, sich auf der nächsten Vertragsstaatenkonferenz (COP 15) der UN-Biodiversitätskonvention für ein globales Moratorium auf die Freisetzung von Gene Drive Organismen einzusetzen. Dasselbe verlangt auch das Europäische Parlament in einem Entschließungsantrag vom Januar dieses Jahres und ist damit einem Aufruf von über 200 Organisationen in Europa und weltweit gefolgt.
„Gene Drives sind ein immenses Risiko für Ökosysteme“, so die unterzeichnenden Verbände einstimmig. „Die EU muss sich für ein globales Moratorium einsetzen und gleichzeitig mit gutem Beispiel voran gehen. Dieser Risikotechnologie muss ein Riegel vorgeschoben werden.“
Mithilfe des Gentechnikverfahrens CRISPR/CAS9 werden im Labor Mücken, Mäuse, Fruchtfliegen und andere Organismen erzeugt, die eine bestimmte Eigenschaft mitsamt dem Mechanismus zur gentechnischen Manipulation künftiger Generationen an sämtliche Nachkommen vererben. So können Gene Drive Organismen ihre Artgenossen in der Natur ersetzen. Die Gene Drive Eigenschaft setzt sich auch dann durch, wenn sie für das Überleben der Art tödlich ist. Eingesetzt werden soll die Technologie zur Bekämpfung sogenannter Agrarschädlinge, invasiver Arten und krankheitsübertragender Insekten.
Thomas Radetzki, von der mitunterzeichnenden Aurelia Stiftung kommentiert: „Die Vielfalt der Arten, auch der Bienen und ihrer Lebensräume, ist in existenzieller Weise bedroht. Die Gene Drive Technologie könnte massiv in diese bereits geschädigten Ökosysteme eingreifen. Ihre Risiken sind offenkundig. Die Anwendung der Technologie widerspricht daher dem Vorsorgeprinzip, das sowohl in der EU als auch international die Grundlage für das Naturschutzrecht bildet.“
Mit Blick auf die Risiken für eine intakte Umwelt und die menschliche Gesundheit erklärt Mareike Imken von Save Our Seeds und Initiatorin der europäischen Kampagne „Stop Gene Drives“: „Die von Gene Drive Organismen ausgehenden Umwelt- und Gesundheitsrisiken sind nicht ansatzweise erforscht. Eine Vorhersage, Eingrenzung oder Umkehrung ihrer Effekte in der Natur sind unmöglich. Deshalb ist bereits ihre Erforschung riskant: schon wenige Gene Drive Organismen, die aus dem Labor entkommen, können eine unkontrollierbare gentechnische Kettenreaktion in der Natur auslösen. Ein Moratorium gibt uns die Zeit, offene Fragen zu klären und fehlende Regularien und Entscheidungsmechanismen zu etablieren. Vorher sollte niemand auf der Welt diese Risikotechnologie nutzen.“
„Der Verlust an Biodiversität ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Es ist daher unverantwortlich, Arten und Ökosysteme weiteren Risiken auszusetzen. Eine Freisetzung von Gene Drive Organismen in die Natur ist mit enormen Risiken verbunden und erfordert eine viel umfangreichere Technikfolgenabschätzung, Risikobewertung und Überwachung, als das in Europa und in vielen anderen Ländern aktuell gesetzlich vorgeschrieben wird. Da eine grenzüberschreitende, effektive Kontrolle der Ausbreitung von Gene Drive Organismen nicht möglich ist, gibt es nur eine Möglichkeit: ein weltweites Moratorium“, erläutert Undine Kurth, Vizepräsidentin des Deutschen Naturschutzrings als Mitunterzeichnerin des Briefes.
„Auch Gene Drives werden das Problem von invasiven Arten nicht lösen können - im Gegenteil haben sie das Potential, neue invasive Arten mit unbekannten Eigenschaften zu schaffen“, erklärt Antje von Broock, Geschäftsführerin für Politik und Kommunikation beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND): „Mit der kürzlich durch die EU-Kommission vorgestellten EU-Biodiversitätsstrategie will die EU eine globale Vorreiterrolle zum Schutz der Biodiversität einnehmen und dem Artensterben ein Ende setzen. Wir sagen nein zu Gedankenspielen, mit Gene Drives die gezielte Ausrottung von Arten unter dem Deckmantel des Naturschutzes zu betreiben.“
Abschließend fordern alle Verbandsvertreter*innen die EU dazu auf, zum Schutz von Mensch und Umwelt zu handeln: „Die EU-Kommission und die deutsche Bundesregierung in ihrer Rolle als Vorsitzende des EU-Rats sollten dem Ruf des Europaparlaments folgen und ein vorläufiges Freisetzungsverbot von Gene Drive Organismen auf die internationale Agenda setzen.“
Dokumente
Den offenen Brief an die EU-Kommission vom 30.06.2020 finden Sie hier.
Das Policy Briefing "Why a moratorium on the release of gene drive organisms is necessary" von SOS finden Sie hier.
Die Zusammenfassung des wissenschaftlichen Berichts "Gene Drives. A report on their science, applications, social aspects, ethics and regulations" von den unabhängigen Wissenschaftsorganisationen ENSSER, CSS und VDW finden Sie hier.
Artenvielfalt mit Gentechnik?
Am 20.05.2020 veröffentlichte die EU Kommission ihre Farm-to-Fork- und Biodiversitätsstrategie als Teil ihres European Green Deals. Save Our Seeds begrüßt diese Strategien und fordert deren konsequente Umsetzung. Ein blinder Fleck allerdings ist die Gentechnik.
Die neue Biodiversitätsstrategie soll nach eigenen Aussagen der EU-Kommission den Verlust der biologischen Vielfalt in Europa stoppen, indem die Hauptursachen für den Verlust der biologischen Vielfalt angegangen werden sollen. Dazu gehören u.a. die nicht nachhaltige Nutzung von Land und Meer, die Überbeanspruchung natürlicher Ressourcen, die Umweltverschmutzung und invasiven fremde Arten.
Mareike Imken, Leiterin der Stop Gene Drive Kampagne von Save Our Seeds sieht die neu festgelegten Ziele zur Einsparung von Pestiziden, zur Verbesserung von naturnahen Flächen und Schutzgebieten, zur Rettung bedrohter Arten sowie zum Wachstum des Ökolandbaus positiv. Allerdings verpasst die Biodiversitätsstrategie es klare Worte zur Gene Drive Technologie zu finden: „In der heute veröffentlichten EU-Biodiversitätsstrategie vermissen wir die explizite Ablehnung und den Ausschluss jeglicher Nutzung der Gene Drive Technologie. Auch fehlt das Ziel, ein weltweites Moratorium auf jegliche Freisetzung von Gene Drive Organismen auf Ebene der UN Biodiversitätskonvention anzustreben, wie es das Europäische Parlament in seiner Resolution (2019/2824(RSP)) vom Januar 2020 bereits richtigerweise forderte. Eine Technologie, die zum Ziel hat, wildlebende Populationen und Arten auszurotten, steht im Widerspruch zu den Natur- und Artenschutzzielen der EU und sollte verboten werden,“
Die Farm-to-Fork-Strategie soll als eine weitere wichtige Komponente des European Green Deals die europäische Landwirtschaft nachhaltiger machen. Der Termin für die Veröffentlichung war zuvor zwei Mal verschoben worden. Das Gen-ethische Netzwerk (GeN), Save our Seeds und die Interessengemeinschaft für gentechnikfreie Saatgutarbeit (IG Saatgut) kommentieren dazu:
„Wir begrüßen es, dass die Europäische Kommission in der Farm-to-Fork-Strategie die großen Herausforderungen der europäischen Landwirtschaft benennt und dabei auf einen Umbau der Ernährungssysteme setzen möchte“, so Pia Voelker vom Gen-ethischen Netzwerk (GeN). „Doch der Verweis auf die neuen gentechnischen Verfahren (‚neue innovative Techniken, einschließlich der Biotechnologie und ‚neue genomische Techniken‘) als angebliche Instrumente für mehr Nachhaltigkeit und weniger Pestizideinsatz steht dazu in einem starken fachlich-inhaltlichen Widerspruch. Anstatt mit der Agrarindustrie weiter auf jene Akteure zu setzen, die unsere aktuellen Probleme im Bereich Landwirtschaft maßgeblich verursacht haben, sollte die Kommission endlich einen grundlegenden Umbau der europäischen Agrarsysteme vorantreiben.“
Aus Sicht der drei Organisationen ist es insbesondere problematisch, dass die Kommission im Zusammenhang mit der Studie, die sie in den nächsten Monaten zu den neuen gentechnischen Verfahren anfertigen wird, ausschließlich von Potenzialen der Gentechniken spricht. „Es ist nicht akzeptabel, dass die EU-Kommission die Studie entgegen ihres Mandats dafür instrumentalisiert, einseitig auf vermeintliche Potentiale der neuen Gentechniken einzugehen, um eine Deregulierung der Technologien voranzutreiben“, so Voelker. „Stattdessen sollte die Kommission die weitere Regulierung der neuen Techniken unter aktuell geltendem Gentechnikrecht sicherstellen, damit die Risiken für Verbraucher*innen und Umwelt weiterhin geprüft und mögliche negative Auswirkungen überwacht werden können. Nur so kann das erklärte Ziel der Farm-to-Fork-Strategie, europäische Lebensmittel zum globalen Standard für Nachhaltigkeit zu machen, erreicht werden.“
„Die Europäische Kommission sollte die Versprechen der Biotech-Industrie kritisch prüfen und erkennen, dass wir drängende Herausforderungen wie die Sicherung unserer Ernährung im Zuge der Klima- und Biodiversitätskrisen nicht mit neuen gentechnischen Verfahren meistern können“, so Stefanie Hundsdorfer von der Interessengemeinschaft für gentechnikfreie Saatgutarbeit (IG Saatgut). „Angesichts des komplexen Charakters der Probleme sind technische Innovationen als Abhilfe schlicht ungeeignet. Umso mehr, da die Geschäftsmodelle derjenigen, die die Patente und Nutzungsrechte der neuen Gen-Technologien besitzen, die dringend benötigte Vielfalt in Züchtung und Landwirtschaft weiter reduzieren. Für die Sicherung unserer Ernährung im Zuge der Klimakrise ist es zudem viel erfolgversprechender, die Widerstandsfähigkeit der Agrar-Ökosysteme und die genetische Vielfalt von Pflanzen zu fördern, als einzelne Genabschnitte zu verändern. Anstatt weiter auf die teuren und riskanten Gen-Technologien zu setzen, sollte die Kommission den Ausbau der bereits praktizierten vielfältigen, lokal angepassten und wahrhaft innovativen Ansätze für nachhaltige Agrarsysteme konsequent vorantreiben, wie sie beispielsweise in der ökologischen und partizipativen Pflanzenzüchtung und in der agrarökologischen Forschung gemeinsam mit Landwirt*innen entwickelt werden. Nur so ist ihr Bekenntnis zur Förderung agrarökologischer Ansätze glaubwürdig.“
Hier geht's zur Pressemitteilung
Bundesregierung soll Moratorium erwirken
In einem gemeinsamen Brief fordern 29 Organisationen die Ministerinnen Karliczek, Klöckner und Schulze auf, sich bei den anstehenden internationalen Verhandlungen und während ihrer EU-Ratspräsidentschaft für ein globales Gene Drive Moratorium auszusprechen.
Anlass für den gemeinsamen Brief war, dass in Bezug auf die Gene Drive Technologie in den nächsten Monaten wichtige Entscheidungen anstehen: Bei der im Oktober stattfinden Vertragsstaatenkonferenz der UN-Biodiversitätskonvention in China wird die Bundesregierung im Rahmen Ihrer EU-Ratspräsidentschaft eine wichtige Rolle spielen. Auch bereits bei den vorab stattfindenden Expert*innenkonferenzen, darunter vor allem der SBSTTA 24 im Mai, kann die Bundesregierung entscheidende Weichen für die Regulierung dieser Technologie stellen. Zusätzlich findet derzeit innerhalb der Weltnaturschutzorganisation IUCN ein Konsultationsprozess statt, in dem alle IUCN-Mitglieder, darunter Deutschland, aufgefordert sind, bezüglich des Resolutionsentwurfs 075 zur Rolle der synthetischen Biologie (einschließlich Gene Drives) für den Schutz der Artenvielfalt Kommentare beizusteuern. Diese Resolution soll die Grundlage für einen inklusiven Diskussionsprozess innerhalb der IUCN bieten, in dem sich deren Mitglieder über die mögliche Rolle von Anwendungen der synthetischen Biologie, darunter Gene Drives, für den Schutz der Artenvielfalt austauschen sollen. Beim IUCN Weltkongress 2024 will die Weltnaturschutzorganisation dann seine offizielle Position dazu abstimmen.
Das Bündnis fordert die Bundesregierung in ihrem Brief dazu auf, dem Votum des Europäischen Parlaments vom 16. Januar 2020 zur CBD COP 15 zu folgen, in dem das Europäische Parlament die EU in einem Entschließungsantrag dazu aufforderte, zum Schutz der weltweiten Artenvielfalt bei der nächsten Vertragsstaatenkonferenz der UN-Biodiversitätskonvention einen globalen Freisetzungsstopp (moratorium) für Gene Drive Organismen in die Natur zu fordern, um verfrühten Experimenten mit der Technologie in der Natur vorzubeugen.
Trommeln für die Vielfalt
Europaparlament fordert globales Gene Drive Moratorium!
Bei seiner Plenarsitzung am 16.01.2020 hat das Europäische Parlament seine Position für die 15. Vertragsstaatenkonferenz der UN-Biodiversitätskonvention (COP 15 CBD) festgelegt. In ihrer Resolution fordern die Europaparlamentarier*innen die EU dazu auf, sich bei den im Oktober anstehenden internationalen Verhandlungen der CBD für ein globales Gene Drive-Moratorium einzusetzen.
Mit einem gemeinsamen Brief hatte ein EU-weites Bündnis von über 50 NGOs, darunter Greenpeace, Friends of the Earth Europe und IFOAM EU die Abgeordneten im Vorfeld dazu aufgerufen, für entsprechende Änderungsanträge zu stimmen.
Die nächste Vertragsstaatenkonferenz der CBD im Oktober 2020 in China könnte einer der letzten Momente sein, um geplante Freisetzungen von Gene Drive Mücken durch das Projekt Target Malaria zu unterbinden. Eine Freisetzung von Gene Drive Organismen würde eine unkontrollierbare Ausbreitung der auf neuartige Weise gentechnisch veränderten Organismen verursachen – und eine globale Ausbreitung und unwiderrufliche Veränderung oder Schädigung von Ökosystemen zur Folge haben. Da es bis dato keine Möglichkeit gibt, einmal freigesetzte Gene Drive Organismen wieder aus der Natur zu entfernen oder Veränderungen und Schäden in Ökosystemen, Nahrungsnetzen und an der Artenvielfalt rückgängig zu machen, widerspricht eine solche Freisetzung dem Vorsorgeprinzip. Dieses wurde eigens von der CBD zum Schutz der Artenvielfalt geschaffen und ist die Grundlage des europäischen und auch des deutschen Naturschutzrechts.
Save Our Seeds hatte sich im Jahr 2019 für die Einbringung dieser Änderungsanträge im Europaparlament stark gemacht und unterstützte als Teil eines starken Bündnisses aus deutschen NGOs, Stiftungen und Expert*innen die Forderungen des Briefes und die Unterstützung von nun angenommen Änderungsanträgen, die zum Ziel hatten...
- ...eine Freisetzung von Gene Drive Organismen in die Natur zu unterbinden
- ...die Anwendung und rechtliche Stärkung des Vorsorgeprinzips in der neu zu schaffenden UN-Rahmenkonvention für die Artenvielfalt nach 2020 zu unterstützen
- eine vorbeugende Technikfolgenabschätzung, technologische Vorausschau (Horizon Scanning) und Überwachung (Monitoring) für neue Technologien wie Gene Drives vorzuschreiben
- die Wahrung von Rechten auf eine informierte vorherige Zustimmung lokaler Gemeinschaften und indigener Völker vor einem Einsatz risikoreicher Technologien in ihrer Umwelt zu gewährleisten
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Zwangsvererbung mit Gene Drive: Mit CRISPR-Cas unliebsame Arten ausrotten?
CRISPR-Cas macht’s möglich: Gene Drives sind ein gentechnisches Verfahren, das unter anderem mit Hilfe des gentechnischen Werkzeugs CRISPR-Cas dazu genutzt wird, um bestimmte Eigenschaften - zum Beispiel Unfruchtbarkeit - schnell und dauerhaft in wildlebenden Tier- und Pflanzenpopulationen zu verbreiten. Durch die Freisetzung solcher Gene-Drive-Organismen sollen ganze Populationen oder Arten in der Natur gentechnisch verändert oder auch ausgerottet werden. Über Anwendungsmöglichkeiten, soziale, ethische und ökologische Konsequenzen sowie regulatorische Bedingungen für die Nutzung dieser bislang nur im Labor getesteten Technologie wurde auf dem Gene Drive-Symposium in Bern diskutiert. Der dort veröffentlichte Gene Drive-Bericht fasst die Erkenntnisse zusammen.
Wie funktioniert ein Gene Drive? CRISPR-Cas ist ein gentechnisches Werkzeug, das im Erbgut nach bestimmten DNA-Sequenzen suchen und an diesen Stellen die DNA-Stränge zerbrechen kann. Gentechnologen machen sich die zelleigenen Reparaturmechanismen für die Genmanipulation zunutze: Um einen Gene Drive herzustellen, wird die Erbanlage für CRISPR-Cas der Zelle als Reparaturvorlage zur Verfügung gestellt. Die Zelle kopiert diese Gensequenz in die Bruchstelle und kittet auf diese Weise die zerbrochene DNA. Da so das gentechnische Werkzeug selbst in aktiver Form im Erbgut des Organismus vorliegt, kann es bei jeder Fortpflanzung des Organismus aktiv werden und sich selbst ins Erbgut des Fortpflanzungspartners hineinkopieren. Auf diese Weise erben nahezu alle Nachkommen eines Gene Drive-Organismen den Gene Drive und die damit verbreitete Eigenschaft.
Anwendungsgebiete: Das in Zukunft größte Anwendungsgebiet von GDO (Gene Drive Organismen) könnte in der Landwirtschaft liegen. Vor allem US-amerikanische Forscher*innen und Anbau-Vereinigungen hoffen, in Zukunft mit dieser Technologie Insekten wie die Kirschessigfliege, Blattläuse oder den Mehlkäfer dezimieren zu können. Auch die Überwindung von Herbizid- und Pestizidresistenzen in ertragsmindernden Beikräutern oder Insekten steht auf der Wunschliste zukünftiger kommerzieller Nutzungen. Gene Drives könnten aber auch als Biowaffen gegen Pflanzen, Tiere und Menschen eingesetzt werden. Das Forschungsinstitut des US-amerikanischen Militärs (DARPA) ist aus diesem Grund einer der größten Finanziers der Gene Drive-Forschung.
Am weitesten entwickelt und nach Aussagen des Projektteams von Target Malaria in frühestens fünf bis zehn Jahren für Freilandtests bereit ist die Nutzung von Gene Drives in malariaübertragenden Mücken. Das von der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung geförderte Projekt Target Malaria setzt sich zum Ziel, die Anopheles-Mücke in Burkina Faso auszurotten oder flächendeckend gentechnisch so zu verändern, dass die Übertragung von Malaria gestoppt wird.
Die Naturschutzorganisation Island Conservation hingegen hofft, mit Gene Drive-Organismen gegen eingeschleppte invasive Nagetiere vorgehen zu können, die den Artenreichtum auf Inseln bedrohen. Die Idee, Gene Drive-Organismen für den Naturschutz zu nutzen, wird aus diesem Grund seit einigen Jahren in der Weltnaturschutzorganisation IUCN kontrovers diskutiert.
Offene ökologische, soziale und ethische Fragen: Mit Gene Drives wird die Natur zum Gentechniklabor. Werden die im Labor geschaffenen Gene Drive-Organismen, zum Beispiel Mücken, Fliegen oder Mäuse in die Natur freigelassen, setzen sie eine gentechnische Kettenreaktion in Gang, die derzeit weder räumlich noch zeitlich begrenzbar ist. Eine globale Ausbreitung der auf diese Weise gentechnisch veränderten Organismen wäre die Folge. Die Entwicklung des für Mutationen und Fehler anfälligen gentechnischen Werkzeugs CRISPR-Cas in wilden Populationen ist kaum vorhersehbar. Unbeabsichtigte ökologische Folgen durch entstehende Resistenzen und Mutationen, durch die Auskreuzung in verwandte Arten oder durch unerwartete Effekte auf Nicht-Zielarten wären vermutlich irreversibel. Störungen der tierischen Nahrungsketten und daraus folgende negative Konsequenzen für die menschliche Ernährungssicherung wären nicht auszuschließen. Ob freigesetzte Gene Drive-Organismen rückholbar wären, oder sich die dadurch veränderten Ökosysteme je wieder in ihren Urzustand zurückversetzen ließen, ist fraglich.
Auch aus ethischer und sozialer Perspektive gibt es Bedenken: Sollten wir es uns anmaßen, die evolutionären Regeln der Natur so fundamental außer Kraft zu setzen? Kann eine so invasive, totalitäre und disruptive Technologie, die von Beginn an auf Patentansprüchen beruht, überhaupt ausreichend kontrolliert werden? Ist eine solche Technologie beherrschbar? Welche bestehenden Alternativen oder mögliche, weniger risikoreiche und demokratischere Lösungsansätze werden vernachlässigt oder gar nicht erst entwickelt, wenn aktuell Milliarden in diese Hochrisiko-Technologie investiert werden?
SOS-Kampagne für ein globales Gene Drive-Moratorium
Für Save Our Seeds sind Gene Drives die bislang gefährlichste Anwendung der Gentechnik in der Umwelt. Deshalb fordern Save Our Seeds und hunderte andere zivilgesellschaftliche Organisationen ein weltweites Moratorium für die Freisetzung von Gene Drive-Organismen in die Natur. Save Our Seeds möchte eine breite, kritische Diskussion über diese Technologie in die Gesellschaft und Politik tragen und Entscheidungsträger*innen sowie Wissenschaftler*innen auf nationaler, europäischer und globaler Ebene für einen Anwendungsstopp dieser Technologie gewinnen, bevor die ersten Exemplare in die Natur ausgesetzt werden. Gleichzeitig wirbt SOS für einen respektvollen Umgang mit der Natur, der die Artenvielfalt erhält und sie für uns nutzbar macht – anstatt einzelne Arten auszurotten oder auf so totalitäre Weise für kurzfristige Zwecke zu manipulieren.
Wer dieses Anliegen unterstützen möchte, kann die Petition für ein globales Gene Drive-Moratorium hier unterzeichnen.
Vertiefte Informationen zu Gene Drives aus wissenschaftlicher, ökologischer, sozialer, ethischer und regulatorischer Perspektive finden sich im Gene Drive-Report, der von ENSSER, VDW und CSS beim Gene Drive-Symposium in Bern veröffentlicht wurde.
Gene Drives: Bundesrat beschließt strengere Sicherheitsauflagen als Bundesregierung
Gene-Drive-Organismen erstmals im Gentechnikrecht reguliert
Der Bundesrat hat sich am 07.06.2019 für die Verschärfung von Sicherheitsauflagen bei Laborexperimenten mit Gene-Drive-Organismen (GDO) in der Gentechniksicherheitsverordnung ausgesprochen. Zudem verlangt er die Erarbeitung von GDO-spezifischen Sicherheitsmaßnahmen und fordert die Bundesregierung auf, dem Naturschutz dabei besonderes Gewicht zu geben. Damit reagierten die Bundesländer auf eine Warnung von SOS vor zu niedrigen Sicherheitsstandards für Laborexperimente mit GDO in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung.
Mücken, Fliegen, Mäuse, aber auch Pflanzen können durch ein neues Gentechnikverfahren namens Gene Drive so verändert werden, dass sie eine neue Eigenschaft schnell und flächendeckend in wildlebenden Populationen verbreiten. Durch eine spezielle Anwendung der sogenannten CRISPR-Cas-Technologie kann hier die gentechnische Manipulation selbst weitervererbt werden und so eine zeitlich und räumlich nicht kontrollierbare gentechnische Kettenreaktion in der Natur auslösen. Durch die Freisetzung solcher Gene-Drive-Organismen sollen ganze Populationen oder Arten in der Natur gentechnisch verändert oder auch ausgerottet werden. Bei Experimenten mit Gene-Drive-Organismen im Labor besteht die Gefahr, dass Versuchstiere entkommen. Bereits wenige freigesetzte GDO könnten theoretisch zur Ausrottung ihrer Art in der Natur führen.
Nachdem ein Bündnis aus NGOs (der AbL, dem BUND, dem GeN, der IG-Saatgut, Testbiotech und Save Our Seeds) in einem Brandbrief auf diese Gefahr hingewiesen hatte, wurden die für die Gentechniksicherheit zuständigen Bundesländer aktiv. Bei der Plenarsitzung des Bundesrates am 07.06.2019 beschlossen die für die Gentechnikaufsicht zuständigen Bundesländer, aus Vorsorgegründen die Festlegung von Sicherheitsstufe 3 (von vier) für Laborexperimente mit Gene-Drive-Organismen. Die Bundesregierung hatte in einer Novelle der Gentechniksicherheitsverordnung erstmals GDO in die Verordnung aufgenommen und für Laborexperimente nur die Sicherheitsstufe 2 vorgesehen.
Zusätzlich zu dieser Änderung appellierten die Bundesländer an die Bundesregierung, „über die in der Verordnung zur Neuordnung des Rechts über die Sicherheitsstufen und Sicherheitsmaßnahmen bei gentechnischen Arbeiten in gentechnischen Anlagen getroffenen Regelungen zu Gene Drive-Organismen hinaus unter Berücksichtigung des Vorsorgeprinzips den Schutzgütern des § 1 Nummer 1 des Gentechnikgesetzes und insbesondere dem Naturschutz bei der künftigen Gestaltung der Vorgaben für die Risikobewertung und Sicherheitseinstufung von Gene Drive-Organismen besonderes Gewicht zu geben.“
Nach dem Beschluss des Bundesrates kann die Gentechniksicherheitsverordnung nun in Kraft treten und nimmt erstmals Gene-Drive-Organismen in die Regulierung des Gentechnikrechts auf.
Allerdings gibt es auch einen Haken: Nach der „grundsätzlichen“ Einordnung von Gene-Drive-Organismen in die Sicherheitsstufe 3 findet eine Einzelfallbewertung durch die Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit (ZKBS) statt. Diese kann auf Grundlage dieser Bewertung eine andere Sicherheitsstufe wählen, auch die Sicherheitsstufe 1. Diese setzt voraus, dass das Risiko für Umwelt und menschliche Gesundheit durch die erforschten GVO zu vernachlässigen ist und erfordert deshalb keine speziellen Sicherheitsauflagen.
Aus diesem Grund war der begrüßenswerte Beschluss des Bundesrates nur der erste, dringend gebotene Schritt. Da die Gentechniksicherheitsverordnung für die von Gene-Drive-Organismen ausgehenden Gefahren für die Artenvielfalt und Umwelt bislang nicht auf diese ausgelegt ist, sollten die ZKBS und die Länder möglichst zügig spezifische Sicherheitsmaßnahmen für diese neue Klasse von gentechnisch veränderten Organismen erarbeiten. Außerdem muss die seit Jahren vakante Expertenstelle zu Naturschutzfragen innerhalb der ZKBS nun schnell nachbesetzt werden. Eine Sicherheitseinstufung und Risikobewertung von Gene-Drive-Organismen ohne die besondere Gewichtung durch den Naturschutz darf es nicht mehr geben.
Beschluss des Bundesrates zur Gentechniksicherheitsverordnung
Gentechniksicherheitsverordnung wie einst von der Regierung vorgeschlagen
Weitere Informationen:
SOS-Pressemitteilung im Vorfeld der Bundesratsabstimmung
Brief des NGO-Bündnisses an die Bundesländer
Spiegel-Artikel zum Einflussnahmeversuch des BMEL im Vorfeld der Bundesratsabstimmung
Parteien für Gene Drive-Moratorium
Im Vorfeld der Europawahlen sprechen sich SPD, Linke und Grüne für ein Gene Drive Moratorium aus. Die CDU will die Notwendigkeit eines Moratoriums prüfen.
Bei einer Abfrage der Spitzenkandidaten zu ihrer Haltung bezüglich neuer Gentechnik und Gene Drives für die Europawahl zeigt sich die Mehrheit der großen deutschen Parteien besorgt über die Risiken, welche von einer Freisetzung von Gene-Drive-Organismen in die Natur ausgehen könnten.
Die SPD hält eine Freisetzung von Gene Drive-Organismen für „nicht mit den Grundsätzen und Zielen des Übereinkommens über die biologische Vielfalt vereinbar.“
Die CDU/CSU verweist insbesondere in Bezug auf das Ausbreitungspotenzial auf „erhebliche Risiken“ durch transgene Gene Drive-Organismen.
Die Linke betonte in ihrer Antwort eine erschwerte Risikobewertung sowie fehlende Rückholoptionen.
Bündnis90/Die Grünen schreiben, es sei „nicht zu verantworten, gentechnisch veränderte Populationen mit einer derartigen Eingriffstiefe in die Umwelt zu entlassen.“ Die Folgen seien nicht abschätzbar, ein sinnvoller Kampf gegen Krankheiten dürfe nicht ganze Ökosysteme verändern. Eine Freisetzung sei „unkontrollierbar und unumkehrbar“.
Zu dem von uns geforderten Gene Drive-Moratorium schreiben die Parteien wörtlich:
CDU/CSU: „In der EU liegen keine Anträge zu Freilandversuchen mit Organismen vor, die mithilfe von Gene Drives verändert wurden. Es sind auch keine Pläne in diese Richtung bekannt. Gleichwohl sprechen sich CDU und CSU dafür aus, dass ergänzende Regelungen oder auch die Notwendigkeit eines Moratoriums geprüft werden.“
SPD: „Wir setzen uns für ein internationales Moratorium von Gene-Drives ein, da der Mangel an Wissen, Daten und Verständnis mit Blick auf ihre potenziellen Auswirkungen auf die biologische Vielfalt zur Folge haben.“
Bündnis90/Die Grünen: „Wir setzen uns für ein weltweites Moratorium gegen den Einsatz von Gene Drives ein. Das ist notwendig um dem Vorsorgeprinzip Rechnung zu tragen und Ökosysteme zu schützen.“
Die LINKE: „DIE LINKE setzt sich deshalb für ein sofortiges Moratorium gegen die Freisetzung von GVO insgesamt und insbesondere GVO mit Gene Drives ein.“
Die FDP hat unsere Frage leider nicht beantwortet.
Die vollständigen Antworten der Parteien auf unsere Abfrage anlässlich der Europawahlen am 26.05.2019
Antwort von Bündnis90/Die Grünen
Biodiversitätskonvention versagt bei Regulierung neuer Gentechnik
Bei der Konferenz der UN-Biodiversitätskonvention zum Schutz der biologischen Vielfalt haben sich 196 Nationen am 29.11.2018 leider nur auf den denkbar kleinsten gemeinsamen Nenner bezüglich der Erforschung und Freisetzung von sogenannten Gene Drive Organismen geeinigt. Statt klarer Vorsorge und globaler Kontrolle finden sich in der gemeinsamen Erklärung nur weit interpretierbare, allgemeine Appelle an die Regierungen.
„Damit hat sich das millionenschwere Lobbying der Bill & Melinda Gates Foundation sowie der Interessensvertretungen der Gentechnik weitgehend durchgesetzt“ kritisiert Mareike Imken von Save Our Seeds. „Dieser Beschluss muss der Beginn einer globalen Kampagne für ein Moratorium bei dieser Hochrisikotechnologie werden.“
Anstatt ein Moratorium für die Freisetzung von Gene Drive Organismen zu beschließen, wie dies über 200 zivilgesellschaftliche Organisationen und einige Regierungen gefordert hatten, erschöpft sich der nun verabschiedete Beschluss in einem fast beliebig interpretierbaren Appell zur Vorsorge bezüglich der Freisetzung von Gene Drives in die Umwelt. Regierungen und Wissenschaftler*innen bietet er die Möglichkeit, Forschung und Freisetzungen von Vorsorgemaßnahmen, Risikobewertung und der Einbindung lokaler und indigener Gruppen nach eigener Definition der Angemessenheit zu gestalten.
Damit hat das einzige internationale Forum zur Regulierung globaler Gefahren für die Biodiversität und des grenzüberschreitenden Umgangs mit gentechnisch veränderten Organismen bei der Regulierung des bisher gefährlichsten Einsatzes von Gentechnik in der Umwelt eklatant versagt. Die von der CBD geforderte Berücksichtigung und Einbindung „möglicherweise betroffener“ lokaler und indigener Gemeinschaften ist zwar zu begrüßen. Doch die nur für diese Gruppen geforderte vorherige Zustimmung nach Inkenntnissetzung (prior informed consent) müsste zuerst für alle betroffenen Nationen verbindlich vorgeschrieben werden.
Gene Drive Organismen enthalten die Programmierung für eine gentechnische Veränderung, die sie an alle Nachfahren weitergeben, um so eine gentechnische Kettenreaktion in der Umwelt in Gang zu setzen. Diese kennt bisher keine räumliche oder zeitliche Beschränkung und Kontrolle. Sich global ausbreitenden Gene Drive Organismen betreffen deshalb grundsätzlich die gesamte Menschheit. Deshalb erfordert der Einsatz dieser Technologie in der Natur einen Konsens der Weltgemeinschaft.
Save Our Seeds nimmt den Beschluss der CBD zum Anlass für den Start einer Kampagne mit dem Ziel, ein weltweites Moratorium für die Freisetzung von Gene Drives bei der nächsten Konferenz der CBD 2020 in Peking verbindlich zu verankern.
Link zum Beschluss der CBD:
https://www.cbd.int/doc/c/2c62/5569/004e9c7a6b2a00641c3af0eb/cop-14-l-31-en.pdf
Gentechnikfreie Regionen Europas
Am 6. und 7. September 2018 trafen sich in Berlin die gentechnikfreien Regionen Europas zum neunten Mal seit 2005. Der NGO-Tag wurde von Save Our Seeds am Regionalregierungstag von Hessen ausgerichtet. Dessen Staatssekretärin für Umwelt und Landwirtschaft Beatrix Tappeser ist derzeit Präsidentin des GMO Free Netzwerks von 64 Regionalregierungen der EU. Zentrale Themen an beiden Tagen: CRISPR-Cas und "Gene Drives". Gemeinsam verabschiedet wurde auch eine Berliner Erklärung, in der sich die Regionen unter anderem gegen den Einsatz von Gene Drives aussprechen. Am Vorabend der Konferenz ging es bei einer öffentlichen Debatte in der GLS Bank mit 5 internationalen hochkarätigen Wissenschaftler*innen um die provokante Frage, was Gentechnik nach 30 Jahren eigentlich geleistet hat und was sie mit des Kaisers neuen Kleidern zu tun hat. Hier das Programm im Überblick.
EuGH: CRISPR ist Gentechnik
Der Europäische Gerichtshof hat gesprochen, klar und eindeutig: CRISPR-Cas ist Gentechnik im Sinne der EU-Gesetze. Ausgenommen von deren Regulierung sind ausschließlich alte Verfahren der Zufalls-Mutagenese mit Hilfe von Bestrahlung und Chemie, die bei der Verabschiedung der EU-Richtlinie bereits seit Jahrzehnten in Gebrauch waren.
Seit über einem Jahr war bezüglicher dieser Frage von verschiedenen Seiten mit wissenschaftlichen Gutachten, Kasuistik und bemerkenswerten Wortneuschöpfungen eine Gentechnik-Debatte entfacht worden: Ist CRISPR-Cas, sind andere Formen des sogenannten "gene editing" überhaupt noch Gentechnik? Oder vielleicht nur unter ganz bestimmten Bedingungen und unter anderen nicht? Sind die neuesten Formen "naturidentischer Mutagenese" nicht im Grunde noch viel sicherer als natürliche Züchtungsverfahren? Die Dramaturgie der Kampagne spitzte alles auf das am 25. Juli nun entschiedene Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof zu. Dabei ging es hier ursprünglich gar nicht um CRISPR-Cas, sondern darum wie bestimmte Formen traditioneller Mutagenese einzuschätzen sind. Ein schwer nachvollziehbares Playdoyer des Generalanwaltes Bobeck hatte Anfang des Jahres vielen Hoffnung gemacht, mit einer wilden Interpretation des Allerweltswortes "Mutagenese" den Gentechnikbegriff aus den Angeln heben zu können. Nun ist es anders gekommen und über den 15 EuGH Richter*innen ist nur noch der blaue Himmel: Berufung kann gegen ihr Urteil nicht eingelegt werden.
Auch die Regierungsparteien in Deutschland wollen laut Koalitionsvertrag nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes "auf europäischer und gegebenenfalls nationaler Ebene Regelungen vornehmen, die das Vorsorgeprinzip und die Wahlfreiheit gewährleisten".Dazu besteht nun Gelegenheit. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, bei dem bereits einige Anträge für den Einsatz von CRISPR und anderen "gene editing" Verfahren auf dem Tisch liegen, gehörte bisher zu den aktiven Verfechtern der These, hierbei handele es sich nicht um Gentechnik. Mit besonderem Gusto betonten einige Vertreter des Amtes und anderer Institutionen, eigentlich könne man den Einsatz der "Genschere" gar nicht nachweisen, sie allein schon deshalb kaum regulieren. Wir sind gespannt auf ihre Reaktionen und weiteren Bemühungen, Recht und Gesetz auch technisch einzuhalten.
Der heilsame Effekt des EUGH-Urteils ist, dass es Hintertürchen-Politik und Grauzonen bei der Gentechnikfrage verhindert. Die logische Konsequenz für die Bayer-AG, die hierzulande bereits die meisten CRISPR-Patente hält, wird sein, dass sie, nachdem die Uminterpretation misslungen ist, nun auf eine Änderung des europäischen Gentechnikrechtes drängen wird. Mit den gleichen Argumenten, die schon vor 30 Jahren zum Thema Gentechnik zu hören waren: Es gebe in Wahrheit keinen Unterschied zwischen bisheriger Züchtung und diesen neuen, "viel präsziseren" Formen der genetischen Veränderung.
Sich dieser Debatte erneut zu stellen, schadet weder der Wissenschaft noch dem Umwelt- und Verbraucherschutz. Sie bringt selbst die Initiative des Grünen-Vorstandes, der im Rahmen der Programmdebatte bestimmte neue Techniken für bestimmte Zwecke dann für denkbar hält, wenn gewisse Paramete gewährleistet würden, auf den einfachen Punkt: Nicht "ist das Gentechnik oder was anderes", sondern "wollen wir Gentechnik einsetzen" und wenn ja wofür ist hier die Frage.
"Wir begrüßen das Urteil des EuGH als einen Sieg des gesunden Menschenverstandes, der wissenschaftlichen Redlichkeit und als eine heilsame Absage an semantische Manipulationsversuche in einer offensichtlich interessengeleiteten Diskussion über den Umgang mit Technologien und ihren Risiken," sagte Benedikt Haerlin von Save Our Seeds. "Wir stellen uns nun auf eine neue Gentechnikdebatte mit der Bayer-AG und einer breiten Palette von Freundinnen und Freunden der neuen Technologien ein. Das Urteil des EuGH gibt dieser Auseinandersetzung eine solide Grundlage."
CRISPR ist eine neue Methode, die es kurz gesagt erlaubt, mit Hilfe einer Immunreaktion gezielt an ganz bestimmten Orten der DNA diese zu schneiden und anschließend einzelne Basenpaare zu verändern, Abschnitte stillzulegen oder auch neue Abschnitte einzufügen, macht seit einiger Zeit Furore in der Wissenschaft, unter Pharma- und Agrarunternehmen und in der Politik. Ihr Acronym CRISPR (Clustered Regularly Interspaced Short Pallindormic Repeats) ist für viele gleichbedeutend mit einer neuen Ära der genetischen Veränderung.
Eine gute Erklärung der Technologie findet sich bei der neuen Fachstelle Gentechnik und Umwelt.
Viele Nichtregierungsorganisationen, auch Save Our Seeds, hatten in einer gemeinsamen Resolution bereits im Vorfeld des Urteils an die Bundesregierung apelliert, dem Vorsorgeprinzip treu zu bleiben. Mehr dazu auch beim Informationsdienst Gentechnik.
NACHRICHTEN
28.03.2019 | permalink
Glyphosat: Bayer muss Krebskrankem 80 Millionen Dollar zahlen
Die Jury hat entschieden: Die Bayer-Tochter Monsanto muss für die Krebsrisiken ihres Unkrautvernichtungsmittels Roundup haften und dem krebskranken Amerikaner Edwin Hardeman Schadenersatz in Höhe von 80,3 Millionen US-Dollar zahlen, umgerechnet etwa 71,4 Millionen Euro. Bayer will in Berufung gehen.
Bereits vor einer Woche hatte die Jury entschieden, dass Roundup als wesentlicher Faktor den Lymphdrüsenkrebs von Kläger Edwin Hardemann verursacht habe. In der zweiten Phase des Verfahrens ging es um die Haftungsfrage und darum, wie viel Entschädigung dem Kläger zusteht. Die Summe von 80,3 Millionen Dollar setzt sich zusammen aus 5,3 Millionen Dollar an regulärem Schadenersatz und 75 Millionen an sogenanntem Strafschadenersatz, den das US-Recht zusätzlich kennt. Ihn verhängte die Jury, weil Monsanto über Jahrzehnte hinweg versäumt habe, vor den Krebsrisiken von Roundup zu warnen, obwohl wisenschaftliche Literatur darauf hingewiesen habe, erläuterte die Organisation US Right to Know.
Bayer zeigte sich enttäuscht von dem Urteil und erklärte, es habe keinen Einfluss auf zukünftige Fälle - jedes Verfahren sei auf Basis der jeweiligen Umstände gesondert zu betrachten. Doch das stimmt nicht. Der jetzt von einem Bundesbezirksgericht in San Francisco entschiedene Fall ist ein „bellwether case“. So heißen im US-Recht richtungsweisende Musterfälle bei Massenklagen. 11.200 Roundup-Klagen lagen Ende Januar gegen Bayer vor und nach diesem Urteil dürften es schnell noch mehr werden. Allein bei Richter Vince Chhabria, der den Prozess in San Francisco leitete, liegen 760 weitere Fälle auf dem Schreibtisch. Bemerkenswert ist, dass der Schadenersatz im Fall Hardemann ähnlich hoch liegt wie die 78 Millionen Dollar, die ein kalifornisches Gericht im Herbst letzten Jahres im Fall Johnson gegen Monsanto verhängte.
Heute tritt in Alameda, Kalifornien, am dortigen staatlichen Bezirksgericht die nächste Jury zusammen. Sie muss entscheiden, ob Monsantos Roundup auch für die Krebserkrankungen des Rentnerehepaars Alva und Alberta Pilliod verantwortlich ist. Ihr Fall steht stellvertertend für mehr als 250 weitere Klagen, die in Alameda anhängig sind. Die Anwälte der Kläger rechnen damit, dass das Verfahren etwa einen Monat dauern wird.
Es könnte also passieren, dass das nächste Urteil kurz vor der Bayer-Hauptversammlung am 26. April veröffentlicht wird. Dort wird sich möglicherweise die Zukunft von Bayer-Chef Werner Baumann entscheiden. Ein prominenter Aktionär hat bereits beantragt, dem Vorstand die Entlastung zu verweigern. Seit Baumanns Amtsantritt im Mai 2016 verlor die Bayer-Aktie etwa die Hälfte ihres Wertes. Inzwischen kostet der Konzern an der Börse weniger, als die 59 Milliarden Euro, die er für Monsanto bezahlt hat. Das schürt die Ängste, dass sich aktivistische Investoren wie der Hedgefond Elliot bei Bayer einkaufen und auf eine Zerschlagung des Konzerns drängen könnten. Zur Einordnung der Schadenersatzurteile hat die Rheinische Post (RP) Markus Manns, Portfolio-Manager bei Union Investment, interviewt. Er sagte der RP: „Kommt Bayer mit Zahlungen bis zu fünf Milliarden Dollar davon, hat der Bayer-Vorstand alles richtig gemacht“. Bei mehr als zehn Milliarden Dollar habe er die Risiken der Übernahme unterschätzt. In den derzeitigen Aktienkurs seien „nach Markteinschätzung Schadenersatzzahlungen von 20 bis 25 Milliarden Euro eingepreist“, sagte Manns.
Sehr viel günstiger hat sich Bayer vor wenigen Tagen mit den rund 25000 US-Klägern gegen das Medikament Xarelto geeinigt. Der Konzern bezahlte 775 Millionen Dollar, das entsprach rund 30.000 Dollar je Kläger. Doch bei diesem Streit hatte Bayer die ersten Prozesse gewonnen. [lf]
- U.S. Right to Know: After Beating Monsanto, Lawyers Call For Cancer Warnings On Roundup (27.03.2019)
- Hardemann vs. Monsanto: Die Entscheidung der Jury (27.03.2019)
- RP online: Der Druck auf Bayer-Chef Baumann wächst (27.03.2019)
- Bayer: Abschluss der zweiten Phase in US-Glyphosatprozess (27.03.2019)
- Infodienst: US-Gericht: Bayers Glyphosat ist krebserregend (20.03.2019)
- Infodienst: US-Urteil bestätigt: Glyphosat verursachte Krebs (23.10.2018)
07.03.2019 | permalink
Unterschätzt: UN warnt vor den fünf größten Umweltrisiken
Fünf große Umweltrisiken stellen die Menschheit vor enorme Herausforderungen und werden tiefgreifende Auswirkungen auf unsere Gesellschaft, Wirtschaft und die Ökosysteme haben, warnt das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UN Environment). Seinem Bericht „Frontiers 2018/19“ zufolge sind diese fünf noch zu wenig beachteten Themen die neuesten Entwicklungen in der synthetischen Biologie, die Zerschneidung von Landschaften, das Abtauen von Permafrostböden, Stickstoffbelastung und eine Fehlanpassung an den Klimawandel. „Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts entwickelten zwei deutsche Chemiker – Fritz Haber und Carl Bosch – ein Verfahren, um synthetischen Stickstoff günstig im großen Umfang herzustellen. Ihre Erfindung spornte die Massenproduktion von Stickstoffdünger an und veränderte damit die Landwirtschaft weltweit“, erinnert Joyce Musya, die stellvertretende Exekutivdirektorin von UN Environment im Vorwort. Doch dies sei auch der Beginn unseres langfristigen Eingriffs in den Stickstoffhaushalt der Erde gewesen. „Jedes Jahr gelangen reaktive Stickstoffverbindungen im Wert von 200 Milliarden US-Dollar in die Umwelt und degradieren unsere Böden, verschmutzen die Luft und führen zur Ausbreitung von sauerstoffarmen „Todeszonen“ und giftigen Algen in unseren Gewässern“, fügte sie hinzu. „Die in Frontiers untersuchten Probleme sollten daran erinnern, dass wir, wann immer wir in die Natur eingreifen – sei es auf globaler oder molekularer Ebene –, riskieren, dauerhafte Auswirkungen auf unseren Planeten zu verursachen.“
Das erste Kapitel behandelt Chancen und Risiken der synthetischen Biologie. „Neue Verfahren des Genome Editing schreiten rasch voran und versprechen viele biologische und ökologische Vorteile, von der Ausrottung von Krankheiten bis hin zur Verhinderung des Artensterbens. Die Genschere CRISPR/Cas9 ist das neueste und schnellste Gerät im Genome Editing-Werkzeugkasten, das eine enorme Präzision bei der Manipulation des Genoms ermöglicht“, so die Autoren. Sie warnen jedoch deutlich, dass die Fähigkeit, künstliches Leben zu schaffen und vorhandene DNA zu verändern, das Risiko von Kreuzkontaminationen und unbeabsichtigten Folgen berge. „CRISPR-basierte Gen Drives (...) erfordern eine vielschichtige gesellschaftliche Debatte, da sie die gesamte Population von Zielarten verändern, unterdrücken oder ersetzen können.“ Daher könne die absichtliche oder zufällige Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen in die Umwelt erhebliche negative Folgen für die Gesundheit von Mensch und Umwelt haben. „Der Missbrauch dieser Technologien und das Ignorieren unbeabsichtigter Folgen könnte zu einer geopolitischen Bedrohung werden.“ Die Autoren sehen die wachsende Zahl an Do-it-yourself-Biohackern und Garagenlaboren mit großer Sorge. Es bestehe Regelungsbedarf, doch für die Behörden sie dies bei leicht zugänglichen und günstigen Methoden wie CRISPR und Gentechnik-Kits sehr schwierig. Zudem bestehe das Risiko, dass Terroristen die Technologie missbrauchen, um Ernten zu zerstören oder harmlose Mikroben in biologische Waffen umzuwandeln.
Das zweite Thema ist die ökologische Vernetzung – die Verknüpfung und Überbrückung fragmentierter Lebensräume zu einer verbundenen Landschaft, um das Artensterben zu bremsen. Weltweit habe die Industrialisierung in großem Stil zu einer Zerschneidung zuvor intakter Landschaften geführt, was den Rückgang einiger Arten beschleunigt habe, da sie sich nicht mehr räumlich ausbreiten können, um Nahrung oder Partner zu finden. Es gebe vielversprechende Initiativen zur Förderung der Verknüpfung von Landschaften weltweit, aber bei der Planung müsse der Fokus stärker auf die Wiederverbindung von Teillebensräumen und die Bewahrung intakter Landschaften gelegt werden. Das dritte Problem ist das Auftauen der Permafrostböden – jener Böden in der nördlichen Hemisphäre, die bisher dauerhaft gefroren sind und etwa die Hälfte des organischen Kohlenstoffs der Erde speichern. Die Temperatur steige überall, aber in der Arktis schreite die Erwärmung doppelt so schnell voran wie im globalen Durchschnitt. Das rasante Abtauen des Permafrosts könnte einen unkontrollierbaren Schneeballeffekt in Gang setzen, da Kohlenstoff aus den auftauenden Böden freigesetzt werde und die Atmosphäre noch mehr erwärme, wodurch der Klimawandel verstärkt werde.
Die Stickstoffbelastung – die Beeinträchtigung von Ökosystemen, der menschlichen Gesundheit und der Wirtschaft durch massive Veränderung des globalen Stickstoffkreislaufs durch den Menschen – ist eine weitere Top-Gefahr. Stickstoff in Form von Lachgas wirkt als Treibhausgas 300-mal stärker als Kohlendioxid, dazu kommen die Auswirkungen verschiedener Stickstoffverbindungen auf die Ozonschicht und die Luftqualität. „Wir produzieren einen Cocktail aus reaktivem Stickstoff, der Gesundheit, Klima und Ökosysteme bedroht und Stickstoff zu einem der wichtigsten Umweltprobleme der Menschheit macht“, warnt der Bericht. Das Ausmaß des Problems sei jenseits der Wissenschaft jedoch weitgehend unbekannt und unbeachtet. Als fünftes Problem nennt die UN die misslungene Anpassung an den Klimawandel – von nicht funktionierenden Prozessen über Maßnahmen, die Ressourcen schädigen oder ohnehin gefährdete Bevölkerungsgruppen verdrängen. Doch Joyce Musya ist optimistisch: „Wenn wir vorausschauend zusammenarbeiten, können wir einen Schritt voraus sein und Lösungen schaffen, die uns allen und künftigen Generationen dienen werden.“ (ab)
04.03.2019 | permalink
Gentechnik: Bauern müssen 10.000 Hektar Raps umpflügen
In Frankreich wurde mehr Rapssaatgut mit Spuren der gentechnisch veränderten Sorte GT 73 verunreinigt als zunächst angenommen. Wie das französische Portal InfOGM meldete, hat sich die betroffene Ackerfläche auf 8000 Hektar vervierfacht. In Deutschland geht der Saatgut-Hersteller Bayer von bis zu 2000 Hektar Rapsäckern mit Gentech-Pflanzen aus, die bis spätestens Ende März umgebrochen werden müssen.
Vergangenes Jahr waren – wie berichtet - 598 Säcke einer verunreinigten Partie Winterraps der Monsantomarke Dekalb in insgesamt zehn Bundesländer verkauft worden. Darin waren rund 0,1 Prozent der gentechnisch veränderten Rapslinie GT73 gefunden worden, die gegen den Unkrautvernichter Glyphosat resistent ist. Sie darf in der Europäischen Union nicht angebaut werden. Seit Ende 2018 sind die Behörden und der Mutterkonzern Bayer dabei herauszufinden, wo wieviel von diesem Raps ausgesät wurde. Da die Überwachung der Gentechnik Länderaufgabe ist, scheint es schwierig, sich einen bundesweiten Überblick zu verschaffen. Insgesamt 70 deutsche Landwirte haben den Raps gekauft, teilte das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) heute auf Anfrage mit. Sie verteilen sich auf die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Bayern, Brandenburg, Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt, wobei die drei letzten laut BVL besonders betroffen sind. So wurden nach Angaben des Agrarministeriums allein 180 Säcke verunreinigte Rapssaat in Sachsen-Anhalt verkauft.
Die Landesbehörden haben die Landwirte aufgefordert, ihre Rapsfelder vor der Blüte umzubrechen, damit die gentechnisch veränderten Pflanzen sich nicht vermehren können. Außerdem wurden laut BVL unterschiedliche Anbauverbote erlassen, die mindestens bis 1. Juli 2019 gelten. Der Bayer-Konzern wies darauf hin, dass nach guter landwirtschaftlicher Praxis nur alle drei Jahre auf dem gleichen Feld Raps angebaut werde. Annemarie Volling von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft warnte jedoch, Rapssaatgut könne 20 Jahre lang keimfähig im Boden überdauern. Solange bestehe auch das Risiko, dass vereinzelt gentechnisch veränderter Raps keime. „Die zuständigen Behörden der Bundesländer müssen sicherstellen, dass auflaufender Durchwuchsraps vernichtet wird“, forderte Volling.
Wie die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf Bayer Frankreich mitteilte, will der Konzern die betroffenen Bauern mit 2000 Euro pro Hektar entschädigen. Bei einer Fläche von 10.000 Hektar müsste der Konzern damit insgesamt rund 20 Millionen Euro Schadenersatz zahlen. Bayers Konzernzentrale in Leverkusen wollte diese Zahlen jedoch nicht bestätigen. In Frankreich haben laut InfOGM rund 700 Landwirte das Saatgut gekauft. Dort war nach Informationen des Portals im Oktober 2018 die erste Partie Rapssaatgut gefunden worden, die mit Spuren von weniger als 0,1 Prozent GT 73 verunreinigt war. Deutsche Politiker kritisierten daraufhin, dass die Verunreinigung erst nach der Aussaat bekannt wurde. In der Bundesrepublik wird das Saatgut bereits vor der Aussaat untersucht, um zu vermeiden, dass die Saat wieder umgebrochen werden muss.
Allerdings hat das in diesem Fall auch nicht funktioniert. Denn die Bundesländer überprüfen nach einem entsprechenden Handlungsleitfaden üblicherweise nur zehn Prozent des Saatguts auf gentechnische Verunreinigung. Eine Partie der betroffenen Charge Rapssaatgut aus Frankreich wurde dabei nach Auskunft des BVL vor dem 30.9.2018 negativ getestet. Die verunreinigte Partie war jedoch nicht kontrolliert worden. Sie wurde erst untersucht, nachdem die Franzosen den Fund in der Charge gemeldet hatten.
Die fragliche Charge Rapssaat war von der Bayer-Tochter Monsanto in Frankreich aus argentinischem und spanischem Saatgut gemischt worden. Nach einem internen EU-Papier, das dem Portal InfOGM zuerst vorlag, bestand die gesamte Charge aus gut 21.000 Säcken Rapssaatgut. Das entspricht etwa 200 Tonnen. Davon wurden 10.000 Säcke nach Deutschland verkauft und rund 9500 in Frankreich. 8500 Säcke wurden demnach in Deutschland insgesamt ausgesät. Wie das BVL mitteilte, wurden nach Bekanntwerden der Verunreinigung in Frankreich alle Partien dieser Charge kontrolliert. Nur in einer Partie – in diesem Fall 598 Säcke - fand man eine gentechnische Verunreinigung, nämlich mit Raps GT73.
Bayer hat die Produktion des Rapssaatguts in Argentinien nach eigenen Angaben vorläufig ausgesetzt. Bislang scheint unklar, wie die Samen des Raps GT73, der in Argentinien nicht angebaut wird, in das Saatgut gelangen konnten. Bayer wies darauf hin, dass in der Anlage kein gentechnisch verändertes Saatgut aufbereitet werde. GT73-Raps darf nur in Kanada, den USA, Australien und Japan ausgesät werden. Da er in der EU nicht zum Anbau zugelassen ist, gilt hier das Prinzip der Nulltoleranz. Der Import als Lebens- und Futtermittel ist in der EU aber erlaubt. [vef]
- Inf'OGM: 8 000 hectares de colza detruits (6.2.2019)
- Reuters: French, German farmers destroy crops after GMOs found in Bayer seeds (6.2.2019)
- AbL e.V.: Ausbreitung von Gentechnik-Raps muss verhindert werden (21.12.2018)
- Handlungsleitfaden der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Gentechnik: Harmonisierte Saatgutüberwachung auf GVO-Anteile (April 2015)
- Agrarministerium NRW - Schriftlicher Bericht der Landesregierung: Gentechnisch veränderte Anteile in konventionellem Rapssaatgut (21.12.2018)
- Verboten: Gentech-Raps von Baysanto auf deutschen Äckern ausgesät (21.12.2018)
08.02.2019 | permalink
Umstritten: Wie (un)sichtbar schneidet die Gen-Schere?
Mit Gen-Scheren wie CRISPR/Cas verändertes Erbgut lässt sich nachweisen, ist der französische Wissenschaftler Yves Bertheau überzeugt. Die Methoden dafür seien aber noch nicht ausgereift, kritisieren staatliche Laborexperten. Im Entwurf eines Berichts an die EU warnen sie, dass mit neuer Gentechnik hergestellte Produkte unerkannt auf den europäischen Markt kommen können.
Gentechnikkonzerne, Pflanzenzüchter und EU-Kommission behaupten bis heute, die Veränderungen durch neue gentechnische Verfahren wie CRISPR/Cas ließen sich in vielen Fällen nicht von natürlichen Mutationen und herkömmlicher Züchtung unterscheiden. Ohne einen solchen Nachweis könnten diese Verfahren nicht wie herkömmliche Gentechnik reguliert und kontrolliert werden.
Yves Bertheau, pensionierter Forschungsdirektor des staatlichen französischen Agrarforschungsinstituts INRA, ist da anderer Meinung. Er hat für ein neues Fachbuch den Stand der Technik zusammengefasst: „Neue gentechnische Verfahren: Nachweis und Identifizierung der Techniken und der damit hergestellten Produkte“ lautet übersetzt der Titel seines Kapitels. Darin stellt er als erstes klar, dass natürliche Mutationen nur sehr selten vorkämen. Das Erbgut von Pflanzen sei stabil und durch Reparaturmechanismen der Zellen gut geschützt. Schon deshalb seien gentechnisch hervorgerufene Mutationen meist unterscheidbar.
Ausführlich beschreibt Bertheau, dass Eingriffe mit Gen-Scheren unbeabsichtigte Effekte im Erbgut hervorrufen, die er als „Narben“ bezeichnet. Diese Narben würden auch an die folgenden Pflanzengenerationen weitergegeben und könnten nachgewiesen werden, so seine Hypothese. Zudem würden Eingriffe mit Genome Editing eine klare Signatur im Erbgut hinterlassen, die im Prinzip ebenfalls festgestellt werden könne. Der Wissenschaftler kommt zu dem Schluss, dass für die meisten neuen gentechnischen Verfahren der quantitative Nachweis möglich sei, den das EU-Gentechnikrecht voraussetzt. Auch gebe es den notwendigen gesetzlichen und technischen Rahmen, um die Hersteller zu verpflichten, das für den Nachweis notwendige Referenzmaterial zur Verfügung zu stellen. Ist das Referenzmaterial vorhanden und der Ort im Erbgut bekannt, wo die Veränderungen eingebracht wurden, seien diese auch bei Produkten der neuen Gentechnik nachweisbar, versichert Bertheau. Jetzt brauche es nur noch den politischen Willen, das auch umzusetzen.
Denn für eine wirkungsvolle Kontrolle in der Praxis sind noch zahlreiche Hürden zu überwinden. Diese listet ein Bericht auf, den das Europäische Netzwerk der staatlichen Gentechnik-Labore (ENGL) verfasst hat und der dem Informationsdienst Gentechnik vorliegt. Dem Vernehmen nach soll der Bericht am 20. Februar verabschiedet werden. Er kommt zu dem Schluss, ein Nachweis sei nur möglich, wenn die vorgenommene Erbgutänderung bekannt und eine validierte Nachweismethode vorhanden sei. Zudem brauche es zertifiziertes Referenzmaterial. Die Messmethode müsse den Nachweis in einer Qualität liefern, die auch rechtlichen Auseinandersetzungen standhalte.
Die ENGL-Autoren bezweifeln, dass dies bei gentechnischen Veränderungen, die nur eines oder wenige Basenpaare der DNA betreffen, derzeit möglich sei. Denn auch natürliche oder chemisch ausgelöste Mutationen könnten einzelne Basenpaare verändern. Eine Messmethode müsse dies sicher unterscheiden können. Da die bekannten Methoden das aber nicht könnten, müsse ein entsprechendes Verfahren erst entwickelt werden. Ohne spezifische Nachweismethoden oder für Lebensmittel, bei denen die Genveränderung unbekannt ist, sei eine Marktkontrolle nicht möglich. Deshalb könnten zahlreiche, durch Genome Editing hergestellte Produkte unerkannt auf den Markt kommen.
ENGL hatte der EU-Kommission bereits im April 2017 vorgeschlagen, sich mit Nachweis und Identifikation neuer gentechnischer Verfahren zu beschäftigen. Die Kommission habe diesen Vorschlag damals zurückgewiesen, berichtete das französische Portal infOGM. Erst im Oktober 2018 habe die Kommission dem Netzwerk einen entsprechenden Auftrag erteilt, aus dem der zitierte Bericht resultiert. Im November 2018 erschien ein Papier des EU-Forschungszentrums JRC, das in Absprache mit ENGL erstellt wurde. Auch darin hieß es, Eingriffe mit neuen gentechnischen Verfahren seien höchstens extrem aufwändig nachweisbar.
Angesichts dieser Berichte müsste die EU-Kommission mit Hochdruck dafür sorgen, bestehende Messmethoden zu verbessern und neue zu entwickeln. Doch anscheinend fehlt dazu der politische Wille. InfOGM berichtete von einer gemeinsamen Sitzung von Umwelt- und Agrarausschuss des EU-Parlaments Anfang Januar. Dort habe sich die EU-Kommission einmal mehr auf die Position zurückgezogen, dass nicht unterscheidbar sei, durch welches Verfahren eine Mutation im Erbgut hervorgerufen wurde. Sie werde in dieser Amtsperiode keine neuen Vorschläge zum Gentechnikrecht vorlegen, teilte die Kommission mit. Mittelfristig brauche es jedoch ein Regelungssystem, „das mit den wissenschaftlichen Entwicklungen auf der einen Seite und den Normen für Innovation, Wettbewerb und Sicherheit auf der anderen Seite Schritt halten kann“. Dazu wolle sie eine offene Debatte mit allen Beteiligten führen. [lf/vef]
- Yves Bertheau, New Breeding Techniques: Detection and Identification of the Techniques and Derived Products in Encyclopedia of Food Chemistry, S.320-336
- InfOGM - Nouveaux OGM: un vaste débat pour le futur Parlement européen (17.01.2019)
- GMWatch - Experts agree: New GMOs can be detected (02.01.2019)
- European Network of GMO Laboratories (ENGL): Detection of food and feed obtained by new plant mutagenesis techniques (Stand 30.1.2019)
- JRC Technical Reports: Challenges for the detection of genetically modified food or feed originating from genome editing (15.10.2018)
- Infodienst - Deutsche Behörden bestätigen: Genome Editing ist nachweisbar (16.07.2018)
21.01.2019 | permalink
35.000 Menschen demonstrieren in Berlin für Reform der Agrarpolitik
Tausende haben am Samstag in Berlin für eine gerechte und ökologischere Landwirtschaft ohne Gentechnik demonstriert. Angeführt von 171 Bäuerinnen und Bauern mit ihren Traktoren zogen rund 35.000 Menschen unter dem Motto „Der Agrarindustrie den Geldhahn abdrehen!“ vom Brandenburger Tor zum Ort der Agrarministerkonferenz und durch das Regierungsviertel.
Die aus ganz Deutschland angereisten Teilnehmer protestierten bei eisigen Temperaturen und anfangs strahlendem Sonnenschein für konsequenten Klima- und Naturschutz, mehr Unterstützung für kleine und mittlere Betriebe, artgerechte Tierhaltung, ein Ende der Dumping-Exporte, gerechten Welthandel und gesundes Essen ohne Pestizide und Gentechnik für alle. Plakate mit der Aufschrift „Summ Summ Summ... Ohne Vielfalt komm ich um“ oder „Insekten schützen, Pestizide stoppen“ wandten sich gegen den Verlust der Artenvielfalt. Andere Demonstranten forderten „Faire Preise für Landwirte“, „Tiere auf die Weide“ oder machten auf das Verschwinden kleiner Höfe aufmerksam. Viele von ihnen waren als Bienen, Schweine oder Kühe verkleidet. Aufgerufen zu der Demo hatte „Wir haben es satt!“, ein breites Bündnis von mehr als 100 Umwelt-, Verbraucher-, Landwirtschafts- und Entwicklungsorganisationen. Der Protestzug findet schon seit 2011 jedes Jahr zum Auftakt der Agrarmesse Grüne Woche und der internationalen Agrarministerkonferenz in Berlin statt.
Das Demonstrationsbündnis fordert von der Bundesregierung die längt überfällige Agrarwende. Die aktuelle Reform der EU-Agrarpolitik bietet dazu eine Chance, denn hier kann die Bundesregierung mitentscheiden, welche Art der Landwirtschaft künftig durch Steuergelder finanziert wird. „Mit den über sechs Milliarden Euro, die Deutschland jedes Jahr an EU-Agrargeldern verteilt, muss der umwelt- und tiergerechte Umbau der Landwirtschaft gefördert werden”, sagt „Wir haben es satt!“-Sprecherin Saskia Richartz. In Deutschland werden jährlich 6,3 Milliarden Euro an EU-Agrargeldern ausgezahlt. Mehr als drei Viertel sind pauschale Subventionen je Hektar Fläche. „Agrarministerin Klöckner klammert sich an die pauschalen Flächensubventionen wie ihre Vorgänger ans Ackergift Glyphosat“, fügt sie hinzu. „Der Agrarindustrie immer weiter Milliarden in den Rachen zu stopfen ist agrar- und klimapolitischer Irrsinn. Wir fordern: Umverteilen jetzt!” Die 3.300 flächengrößten Betriebe erhalten eine Milliarde Euro im Jahr, während die kleinsten 200.000 Bauernhöfe sich knapp 700 Millionen teilen müssen.
Im Vorfeld der Demo hatten die 171 Bauern, die mit ihren Traktoren aus dem ganzen Bundesgebiet angereist waren, eine Protestnote an die 70 versammelten Agrarminister aus aller Welt übergeben. Diese nahm Bezug auf das Kernthema der Agrarministerkonferenz: die Digitalisierung in der Landwirtschaft. „Wir möchten bei Ihnen in Erinnerung rufen, dass bäuerliche Erfahrungen und bäuerliches Wissen ein Schatz sind, den es zu erhalten und zu schützen gilt. (...) Digitalisierung kann den Austausch von Wissen und Informationen sowie die Vernetzung der Erzeuger*innen wesentlich vereinfachen und zu massiver Arbeitserleichterung in der Landwirtschaft führen“, schreiben sie. „Damit es aber zu keinem Missbrauch dieses Wissens und dieser Informationen kommt, braucht es hier klare und verbindliche internationale Regeln im Rahmen der Vereinten Nationen.“ Sie forderten die Agrarminister auf, die notwendigen Schritte einzuleiten, damit nicht multinationale Konzerne die Rechte erhalten, um Daten und Informationen, z.B. über Klima, Genetik oder Böden, exklusiv zu nutzen und zu bestimmen, wie die (digitale) Landwirtschaft der Zukunft aussieht. Quelle: Weltagrarbericht/abe
- Webseite des Weltagrarberichts
- Presseinformation: Wir haben Agrarindustrie satt! (19.1.2019)
- Wir haben es satt! - Politischer Aufruf an die Internationale Agrarministerkonferenz (19.1.2019)
- Aktionsvideo: Wir trommeln für eine Landwirtschaft ohne Gentechnik und Pestizide (bei youtube veröffentlicht am 24.1.2019)